SIEBEN

Landung

»Neun sind unterwegs.«

– Botschaft in Sorics Handschrift

 

Gaunt war noch im Halbschlaf zu einer hastig einberufenen Besprechung eingetroffen, die kurz vor Morgengrauen stattfand. Nach den außergewöhnlichen Ereignissen der Nacht hatte er ein paar Stunden zu dösen versucht, um dann mitten am Nachmittag von Beltayn geweckt zu werden.

»Der Marschall will Sie sprechen, Herr Kommissar«, sagte Beltayn.

Lugo und sein Stab hatten sich in ein Anwesen in der siebenundneunzigsten Etage der Altmakropole einquartiert. Es war ein Ort verblasster Großartigkeit und Pracht. Wände und Decken waren mit glänzendem schwarzen Ebonit und matten Intarsien aus Arthrozyt verkleidet, und der Boden war durchgängig beheizt und rosa gefliest. In jedes vierte Wandpaneel in der Eingangshalle war ein Messinghalter mit einer Elektrolampe eingelassen, und vor jedem Türbogen hingen lange Vorhänge aus glitzerndem Stahlgeflecht.

Man hatte Gaunt nicht erläutert, wessen Palastbehausung dies war oder wohin sein Besitzer gegangen war, um Platz für Lugo zu machen.

Um ehrlich zu sein, verschwendete er auch kaum einen Gedanken daran. Er fühlte sich geistig matt, als die Wachposten ihn einließen und ihm den Weg durch zwei lang gestreckte Flure und eine Ziegeltreppe empor zu dem Raum zeigten, wo Lugo wartete.

Gaunt hatte mit einer offiziellen Stabsbesprechung gerechnet und war überrascht, nur Lugo und Kaldenbach vorzufinden.

In dem Zimmer war es kalt – im ganzen Anwesen war es kalt –, als seien die alten Heizungsrohre der Altmakropole in dieser Höhe schwach und ineffizient. Lugo saß auf einem Suspensorsessel und trug einen dicken Hausmantel über Uniformhemd und -hose. Seine Jacke und Mütze hingen an einer hohen Garderobe neben ihm.

Er trank Kaffein aus einer Porzellantasse. Ein tragbares Heizgerät stand auf dem Boden und wärmte seine bestiefelten Füße.

Der Raum hatte hohe Spitzbogenfenster aus Buntglas in zwei Wänden und eine verzierte Doppeltür aus Glas in der Dritten, die, soweit es durch den Schleier des Vorhangs aus Stahlgeflecht zu erkennen war, Zugang zu einem Balkon oder einer Dachterrasse zu bieten schien. Kaldenbach stand mit verschränkten Armen neben dieser Tür und schaute entweder stur oder drohend drein. Gaunt wusste nicht recht, auf welche Miene der Mann abzielte. Auf eine Drohende, nahm er an.

»Herr Marschall.«

»Treten Sie ein, Gaunt. Etwas Heißes zu trinken?«

»Danke, nein, Herr Marschall.«

Kaldenbach, der sich bei Lugos Angebot bereits in Bewegung gesetzt hatte, ging bei dessen Ablehnung dennoch weiter und schenkte sich selbst eine Tasse aus einer silbernen Vakuumkanne ein, die auf einer Kommode an der Wand stand.

»Ich entschuldige mich für die frühe Stunde«, sagte Lugo fast freundlich. »Ich wollte mit Ihnen über die Beati sprechen.«

»Über die Beati …«

»Darüber, was wir tun sollen.«

»In welcher Beziehung, Herr Marschall?«

Lugo räusperte sich geziert und trank noch einen Schluck. »Ich habe mich und meine Mittel bisher der Beati zur Verfügung gestellt. Den, nennen wir es mal Launen der Beati. Ihr verklärter Geist nimmt den Kosmos anders wahr als unser, also vertraue ich ihrem Urteil, auch wenn es … launisch erscheinen mag.«

Gaunt lächelte unmerklich.

»Auf ihr Drängen sind wir hierher zu diesem … Ort der Bedeutungslosigkeit gezogen. Ich habe angeregt, ihre Person könnte neben dem Kriegsmeister an der Front von größerem Nutzen sein, aber nein. Sie war sehr höflich, wie man es vielleicht erwarten konnte, hat die Idee aber abgelehnt. Sie hat auf Herodor bestanden, und nach Herodor habe ich sie gebracht.«

»Darüber haben wir bereits gesprochen, Herr Marschall«, sagte Gaunt. »Sie hatten gehofft, sich meiner Hilfe versichern zu können in dem Versuch, sie zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen. Tatsächlich haben Sie sogar Druck auf meinen Kommissar ausgeübt, um mich dazu zu bewegen.«

Lugo zuckte die Achseln, als sei dies belanglos. »Über diese Schattenspielereien sind wir längst hinaus, Gaunt. Die Beati muss nach Morlond fliegen. Sie muss diese Welt verlassen und direkt nach Morlond gehen. Ich bitte Sie nicht um Ihre Hilfe, ich befehle Ihnen, dass Sie sie mir geben.«

»Ich verstehe«, sagte Gaunt.

»Kommen Sie, Gaunt«, sagte Lugo lächelnd. »Wir sind hier alle Freunde, Ibram. Verraten Sie mir Ihre Gedanken.«

»Sie wollen wissen, was ich denke?«, fragte Gaunt.

»Der Marschall hat sich sehr deutlich ausgedrückt«, sagte Kaldenbach scharf.

Gaunt sah ihn an, und Kaldenbach schaute zu Boden. »Also gut«, sagte Gaunt. »Ich glaube, Sie kannten die Wahrheit die ganze Zeit. Von dem Augenblick an, als Sie Sanian auf Hagia begegnet sind. Sie waren sich absolut der Tatsache bewusst, dass sie nicht echt war … ein verwirrtes, bekümmertes Mädchen, das von sich glaubte, die Inkarnation Sabbats zu sein, und ihre Rolle auch einigermaßen gut spielte. Sie sahen den Nutzen darin und unterstützten ihre Behauptung zum Wohl der Moral des Imperiums … und zur Förderung Ihrer eigenen Interessen.«

»Sie beleidigen den Marschall mit solchen verleumderischen …«, begann Kaltenbach. Lugo hob energisch eine Hand.

»Lassen Sie Gaunt reden oder verlassen Sie den Raum, Oberst.«

»Es tut mir Leid, wenn ich zu ehrlich sein sollte, Herr Marschall«, sagte Gaunt. »Sie haben selbst gesagt, die Zeit für Schattenspiele wäre vorbei.«

Lugo nickte und bedeutete Gaunt fortzufahren.

»Sie sahen, dass der beste Weg, sie zu kontrollieren, darin bestand, ihr eine Weile ihren Willen zu lassen. Sollte sie ruhig Entscheidungen treffen, sich in ihre Rolle einleben und an Selbstsicherheit gewinnen. Eine Pilgerreise hierher … nun, das klingt doch ganz nach den unerklärlichen, doch erhabenen Dingen, die eine reinkarnierte Heilige tun würde. Um sich für den bevorstehenden Krieg zu reinigen. Sie lassen ihr ein paar Monate ihren Willen und bearbeiten sie dabei ständig, sodass es hinterher so aussieht, als sei die Reise an die Front ihre eigene Idee. Sie würden sich dem Kriegsmeister anschließen und seine Truppen zweifellos zu einem entscheidenden Sieg inspirieren, und damit wären Ihre Bedeutung und Ihr Ansehen gesichert. Worauf haben Sie gehofft? Auf die Statthalterschaft über einen Sektor? Auf den Oberbefehl über das Heer? Auf noch mehr?«

Lugo bewahrte sich sein Lächeln, aber in ihm lag ein Hauch von bitterem Eis. Gaunt wusste, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

»Und alles lief ganz ausgezeichnet … abgesehen von einigen unvorhergesehenen Unannehmlichkeiten wie der Tatsache, dass sie die Tanither als Leibgarde verlangte. Das muss in Ihnen gegärt haben, mich eintreffen und Ihnen in die Quere kommen zu sehen. Aber es war nichts, womit Sie nicht zurechtgekommen wären. Ihr Plan war immer noch intakt. Bis letzte Nacht.«

»Letzte Nacht?«, wiederholte Lugo.

»Letzte Nacht, Marschall. Als Ihre kleine Galionsfigur etwas getan hat, womit Sie nicht gerechnet haben. Als Sanian – und verlangen Sie nicht von mir, es zu erklären, denn es widersetzt sich jedem Versuch einer rationalen Erklärung –, als Sanian also doch zur wahren Beati wurde. Sie ist die Beati, sie ist wahrhaftig alles, was sie zu sein glaubte, alles, was zu sein Sie vorgetäuscht haben. Ein Wunderwesen im striktesten Wortsinn. Und das hat alles verändert. Sie haben keine Ahnung, was Sie tun sollen. Sie können sie nicht mehr manipulieren. Sie hat sich plötzlich Ihren Kräften der Vernunft und der Kontrolle, ja sogar Ihrem grundlegenden Verständnis entzogen. Sie haben Angst. Sie verlieren den Boden unter den Füßen. Und Ihr Plan fällt langsam auseinander.«

Lugo sog nachdenklich Luft durch die Zähne, dann stand er auf, legte den Hausmantel ab und machte Anstalten, sich seine Uniformjacke anzuziehen. Kaldenbach trat wie ein Diener vor, um das Kleidungsstück für ihn zu halten.

»Eine spannende Spekulation, Ibram«, sagte der Marschall, »und auf ihre ganz eigene Art sogar ziemlich überzeugend. Danke für Ihre Offenheit.«

Er wandte sich Gaunt zu, während er die Jacke zuknöpfte. »Natürlich absolut trügerisch. Ich wusste von Anfang an, dass die Heilige echt ist, und habe sie im Licht dieser Erkenntnis unterstützt. Nichts hat sich verändert. Für mich war sie schon immer ein Wunderwesen. Ich danke dem Gott-Imperator der Menschheit, mich mit dieser Vertrauensrolle bedacht zu haben.«

»Genau«, sagte Kaldenbach.

»Ganz recht, genau«, sagte Gaunt mit der Andeutung eines Achselzuckens. »Wie ich schon sagte, es spielt ohnehin keine Rolle, was ich denke. Wichtig ist, Sie sollten erkennen, dass ich voll und ganz Ihrer Ansicht bin. Echt oder falsch, die Beati sollte beim Kriegsmeister auf Morlond sein. Für das Wohl des Imperiums, der Sabbatwelten und des gesamten Kreuzzugs. Ich werde Ihnen in dieser Beziehung keine Steine in den Weg legen. Ich werde alles tun, was ich kann, um Ihnen zu helfen, sie zu überzeugen. Natürlich weiß ich nicht, ob ich überhaupt Einfluss auf sie habe. Aber ich werde es versuchen.«

Lugo setzte die Mütze auf, sah Gaunt in die Augen und streckte dann die Hand aus. Der überraschte Gaunt schüttelte sie.

»Vielen Dank, Ibram«, sagte Lugo. »Ich wusste, dass Sie ein Mannschaftsspieler sind.«

»Eines sollten Sie noch wissen, Herr Marschall«, fügte Gaunt hinzu, als sich ihre Hände trennten.

»Was denn?«

»Ich bin ziemlich sicher, dass dieses Ereignis, an dem wir teilhaben, diese Inkarnation, diese Manifestation … Ich bin ziemlich sicher, dass es viel bedeutender ist, als uns klar ist. Raum und Zeit und … Schicksal, wenn Sie so wollen … all das kommt zusammen, Synchronizität der Ereignisse. Schon bevor Sanian sich letzte Nacht als Beati manifestiert hat, haben die Ereignisse ihre Schatten in diesem Sektor und weiter vorausgeworfen. Vorzeichen, Omen, Weissagungen. Sie haben sie alle gehört und ganz sicher auf die Hysterie unter den Gläubigen zurückgeführt. Aber sie sind mehr als das. Jeder Psioniker in diesem Sektor – unsere und ihre – muss das gespürt haben. Der Kosmos verändert sich zu einem ganz bestimmten Zweck, Marschall, und dies ist eine der seltenen Gelegenheiten, wo wir die Maschinerie surren hören und die Ergebnisse sehen können.«

»Sie reden wie ein Prophet, Gaunt!«

»Ich bin ganz sicher kein Prophet … aber trotzdem. Ich wusste schon von Herodor, lange bevor ich hierher beordert wurde. Man hat mir gesagt, dass die Heilige kommen würde. Meine Männer haben mir unzählige Geschichten von Männern und Frauen aus den Pilgerlagern zugetragen, die diese übernatürlichen Vorahnungen teilen. Nicht die Fanatiker, nicht die Styliten und die Flagellanten und die Mystiker, die jedes Gerücht zu etwas Bedeutendem aufbauschen. Sie wären überrascht, wie viele normale Leute es da draußen gibt. Leute, die ihr Leben und ihre Heimat weggeworfen haben, um die Reise hierher zu machen, weil sie schlicht und unauslöschlich etwas wussten.«

»Wollen Sie mir Angst einjagen, Gaunt?«, sagte Lugo mit einem aufgesetzten herzlichen Lachen.

»Nein, Herr Marschall. Aber ein gesundes Gefühl der Ehrfurcht wäre nicht fehl am Platz. Wir erleben eine Zeit der Wunder, Herr Marschall. Es lässt sich unmöglich sagen, was sie bringen wird, aber es wird in jedem Fall bedeutsam und folgenschwer sein.«

Gaunt hörte Stimmen und Schritte im Flur vor dem Raum, ignorierte sie jedoch. »Hoffen wir nur«, sagte er ganz direkt, »dass wir das Ende des Kreuzzugs erleben. Den Sieg in den Sabbatwelten und die Niederlage und Flucht des Feindes. Wenn die Beati auf Morlond …«

»Ich gehe nicht nach Morlond«, sagte eine Stimme hinter ihm.

Gaunt drehte sich um. Sabbat stand im Eingang des Raums und hatte eine Hand erhoben, um die Vorhänge aus Stahlgewebe zurückzuschlagen. Sie trug eine schlichte graue Kampfuniform und schwere schwarze Infanteriestiefel. Ihre Haut war totenbleich, und ihre Augen verrieten Erregung und Tadel.

»Beati«, sagte Gaunt und neigte den Kopf. Lugo und Kaldenbach folgten seinem Beispiel.

»Ich gehe nicht nach Morlond«, wiederholte sie, während sie den Raum betrat und das Stahlgeflecht wieder herunterfallen ließ. Durch die Ritzen konnte Gaunt die draußen wartenden Haustruppen sehen, die zu verängstigt waren, um ihr in den Raum zu folgen.

»Hier ist noch viel Arbeit zu verrichten«, sagte sie. »Wichtige Arbeit. Das ist mein Zweck. Morlond kann warten oder auch ohne mich gebändigt werden.«

»Beati, wir …«, begann Gaunt.

Sabbat legte ihm sanft eine Hand auf den Arm, und Gaunt verstummte, unfähig weiterzureden.

»Herodor ist der Schlüssel, Ibram. Das hat der Warpraum gezeigt. Ich werde erst von hier weggehen, wenn diese Arbeit erledigt ist.«

»Wie …«, begann Lugo. »Wie können wir Ihnen dienen, Beati?«

»Ich habe Ibram gesucht. Es wird Zeit. Sie kommen, und ich fürchte mich. Ich habe meinen Beschützer gesucht. Meine Ehrengarde.«

»Die Tanither?«, flüsterte Gaunt.

»Sie und die Tanither. Die brauche ich jetzt.«

»Was meinen Sie mit ›Es wird Zeit‹?«, fragte Gaunt.

Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu den Glastüren, die sie mit einem Druck ihrer Finger öffnete. Sie gingen nach draußen auf die Dachterrasse. Lugo und Kaldenbach folgten.

Die Terrasse war ein Halbkreis aus Gesteinsbeton, der wie ein Sims aus den steilen Dachetagen des Turms der Altmakropole ragte. Eine Panzerglaskuppel schützte sie vor der arktischen Atmosphäre. Die Stadtlandschaft der Civitas Beati breitete sich unter ihnen aus, tief unter ihnen, ein braunes Labyrinth aus eckigen Schatten. Nicht weit entfernt erhob sich die massive Gestalt des zweiten Makropolturms beinahe bis in diese Höhe, eine gigantische Silhouette vor der gerade aufgehenden Sonne.

Den Rand der Terrasse bildeten Terrakottakübel. Die darin gepflanzten Rosen und Sambluscus waren infolge mangelnder Pflege verwelkt und verdorrt, aber sie erinnerten Gaunt an Lord Chass’ Dachgarten in der Oberspindel der Vervunmakropole.

Gaunt empfand einen Anflug von Furcht und Melancholie. Ohne eine Metallblume aus diesem Garten wäre er auf Verghast gestorben.

Hier gab es keine Blumen.

Sabbat zeigte zum Himmel. Er war hellblau und mit leuchtend gelben Bändern und Wolkenbänken im Osten bedeckt. Die letzten Sterne waren noch sichtbar.

»Sie kommen«, sagte sie noch einmal. »Sie sind schon da. Deswegen werde ich nicht nach Morlond gehen. Ich kann jetzt nirgendwo mehr hin.«

Gaunt starrte auf den Teil des Himmels, auf den ihr schlanker Finger gezeigt hatte.

»Wie meinen Sie …«

Ein Blitz. Für einen Augenblick. Ein kleiner Funke hoch oben zwischen den Sternen. Dann noch einer. Wie ein Gewitter im All.

»Was meint sie?«, zischte der in der ungeheizten Luft des Dachgartens zitternde Lugo Gaunt zu.

»Eine Raumschlacht. Die Flotte kämpft. Ein Angriff auf den Planeten hat begonnen.«

»Ganz sicher nicht«, sagte Kaldenbach. »Wir hätten davon gehört …«

»Er hat gerade erst angefangen«, sagte Gaunt. »Geben Sie die Befehle, Herr Marschall. Treffen Sie alle Vorbereitungen für einen Bodenangriff.«

»Das wäre gewiss verfrüht!«, sagte Kaldenbach mit einem spöttischen Unterton. »Flottenkapitän Esquine schützt unsere Interessen. Vier Linienschiffe … die Omnia Vincit allein könnte …«

Gaunt ignorierte ihn. »Beati?«

»Sie sind hier, Ibram. Ich brauche Sie jetzt. Sie werden mich beschützen, nicht wahr? Sie und Ihre Geister? Sie werden mich beschützen, bis die Arbeit hier vollbracht ist?«

»Sie haben mein Wort, Beati.«

Ein Unteroffizier in der Uniform von Lugos Lebenskompanie kam hinter ihnen mit einer Datentafel in den Händen auf die Terrasse gelaufen.

»Herr Marschall! Ein Signal vom Flottenkapitän, Herr Marschall. Er kämpft gegen eine sich im Anflug befindliche feindliche Schlachtflotte, und …«

Lugo nahm ihm die Datentafel abrupt aus den Händen. »Das weiß ich bereits. Wegtreten.« Während der Unteroffizier verwirrt den Rückzug antrat, las Lugo die Datentafel und reichte sie Kaldenbach.

»Vier Schiffe des Erzfeindes. Stark, aber Esquine müsste sie in Schach halten können.«

»Er wird es nicht schaffen.« Ihre Stimme war leise, beinahe ein Flüstern.

Gaunt sah Lugo an. »Treffen Sie alle Vorbereitungen für einen Bodenangriff«, wiederholte er mit fester Stimme.

Lugo hielt seinem Blick mehrere Sekunden stand. Gaunt sah beinah, wie er im Geiste Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Unwägbarkeiten durchging. Lugo schloss die Augen und seufzte tief.

»Tun Sie, was er sagt«, befahl er dem Oberst seiner Leibkompanie.

»Herr Marschall, ich …«

»Sofort!«, blaffte Lugo, und Kaldenbach machte kehrt und lief los.

 

Das war wirklich interessant.

Die Messgeräte, die Shumlens Körperfunktionen überwachten, zeigten die höchste Pulsfrequenz in siebzehn Jahren an. Das war einen Eintrag ins Logbuch wert, fand er.

Er war gerade eine so enge Kurve geflogen, dass die Gravitationskräfte ihn beinahe zerquetscht hätten und er volle fünfzehn Sekunden lang blind gewesen war. Er blinzelte angestrengt, um seine Augäpfel dazu zu bringen, wieder richtig zu fokussieren.

Wo war der Feindjäger geblieben?

Er gab Vollschub und legte seine Maschine in eine lang gezogene Kurve. In der Dunkelheit außerhalb seiner Kanzel flackerten grelle Waffenentladungen. Er sah eine befreundete Maschine zu seiner Linken, der zwei Feindjäger im Nacken saßen. Siebenundzwanzig? War das Liebholtz?

Laserstrahlen zuckten gleißend durch die Schwärze und waren sofort wieder verschwunden. Der Imperiumsjäger legte sich in eine enge Kurve, aber die beiden Gegner ließen sich dadurch nicht abschütteln.

»Siebenundzwanzig, siebenundzwanzig, Kurve nach backbord fliegen«, sagte Shumlen über Kom, während er durch das Feindfeuer raste. Ein Feindjäger, den er nicht einmal gesehen hatte, rauschte mit blitzender Bugkanone vorbei und über ihn hinweg. Das Summen von Schadensalarmen ertönte, und er schaltete es aus.

Seine Überkopfanzeige verschwamm und bewegte sich, und das Fadenkreuz verschob sich, als er sich wieder in eine Kurve legte.

»Sie sind überall! Überall!«, kreischte Liebholtz über Kom.

»Drehen Sie eins-acht-eins und fliegen Sie eine enge Wende«, sagte Shumlen.

Sein Daumen zitterte über dem Feuerknopf oben auf dem Steuerknüppel.

Er war genau auf Kurs. Er schaltete die Nachbrenner zu und begegnete dem anderen Imperiumsjäger, der genau in der anderen Richtung unterwegs war. Der nächste Verfolger, der direkt hinter ihm war, tauchte plötzlich in seiner Anzeige auf, und die Zielerfassung fixierte ihn. Das Fadenkreuz leuchtete auf und fing an zu blinken. Das akustische Signal zur Bestätigung der Zielerfassung ertönte, ein anschwellendes Heulen.

Er drückte auf den Feuerknopf und flog eine Rolle. Er spürte das Beben seiner feuernden Kanone und das rhythmische Stampfen des Autoladers.

Der Feindjäger explodierte in einem grellen Feuerball.

Trümmerstücke prasselten gegen Rumpf und Kanzel seiner Maschine und prallten ab.

Liebholtz hatte es noch nicht überstanden. Er versuchte, seinen horizontalen Vektor zu verlassen und die Maschine hochzuziehen.

Ein typischer Fliegerbubi, dachte Shumlen. Liebholtz war ein großartiger Pilot, wirklich begabt, aber wie so viele Piloten stammte er ursprünglich aus einer planetaren Luftwaffe. Er dachte immer noch in Begriffen wie oben und unten und rechts und links.

Die gab es aber nicht im All. Und jeder wahre Raumjägerpilot wusste das. Und Shumlen war ein wahrer Raumjägerpilot. Sicher, so dicht an einem Planeten oder Riesenschiff gab es ein marginales Gravitationselement, das berücksichtigt werden musste, aber das gehörte mit zum Spiel. In einer Raumschlacht musste man in drei Dimensionen gleichzeitig denken.

Shumlen richtete seinen Vogel wieder aus. Liebholtz versuchte hochzuziehen, aber der Feindjäger blieb ihm auf den Fersen.

Shumlens Zielerfassung machte Jagd auf Feinde und wanderte nach links und rechts.

Er sah den Feindjäger, einen Abfangjäger der Heuschrecke-Klasse, mit Tigerstreifen bemalt. Lange Nase, Doppeltriebwerk, stachelig. Seine Bugkanone spie bereits Liebholtz’ Verderben.

Liebholtz’ letzte unartikulierte Worte knisterten im Kom. Sein Vogel wurde von einem grellgelben Lichtblitz verzehrt.

Shumlen hatte den Vogel. Den Mörder. Er flog Zickzack, aber er blieb dran. Gott-Imperator, aber dieser Pilot war wirklich gut.

Shumlen gab einen Schuss ab und verfehlte.

Er nahm den Daumen weg, um Munition zu sparen. Noch siebenunddreißig Prozent Munition übrig. Eine Rakete. Und noch zweiundzwanzig Prozent Treibstoff.

Der Feindjäger flog eine Rolle, kippte nach unten weg und schraubte sich dann spiralförmig in die entgegengesetzte Richtung.

Nett … aber nicht nett genug. Shumlen raste an ihm vorbei und hielt in offener Verhöhnung der feindlichen Batterien auf die gigantische Landschaft der Oberfläche des feindlichen Schlachtschiffs zu, das gerade an ihm vorbeiglitt.

Sie ließen ihn nicht im Stich. Ebenso wenig wie der Feindjäger.

Die Batterien fingen in dem Augenblick an zu schießen, als Shumlen über sie hinwegraste, doch er war zu schnell für sie.

Sie feuerten immer noch, als der Feindjäger, der Shumlens Vogel den Gnadenstoß versetzen wollte, sich hinter Shumlen klemmte.

Der Feindjäger explodierte in einem feurigen Ball aus glühenden Gasen und Trümmerfetzen.

Shumlen riss seine Maschine wieder hoch, bekam beinahe augenblicklich eine positive Meldung seiner Zielerfassung und schoss in seiner Kehre einen weiteren Feindjäger mit einer Salve aus seiner Kanone ab.

Von irgendwoher bekam er einen Treffer in den linken Flügel, und er legte die Maschine wieder in eine enge Kurve, während ihn weitere Schüsse verfehlten.

Shumlen vollendete seine Kehre. Der Feindjäger raste an ihm vorbei, und Shumlen klemmte sich hinter ihn. Seine Kanone bebte.

Der Feindjäger explodierte, als entfalte sich eine Blüte, da sich der Rumpf in silbernen Fetzen abzuschälen schien. Er sah, wie der Pilot verdampfte, als dieser versuchte, sich mit seinem Schleudersitz aus der Maschine zu katapultieren.

Seine Instrumente gaben ein entsetzliches Jaulen von sich. Ein Blick auf die Munitionsanzeige verriet ihm, dass der schlimmste Fall eingetreten war.

Der Zähler stand auf null. Und die Treibstoffanzeige sah nicht viel besser aus.

Er wendete. Noch eine Rakete übrig. Zeit, ein angemessenes Ziel für sie zu suchen.

In halsbrecherischem Zickzackflug wich er dem Luftabwehrfeuer aus, das ihm entgegenbrandete, und raste dem Bug des feindlichen Schlachtschiffs entgegen. Die vorderen Jägerhangars waren geöffnet wie Mäuler einer Bestie. Eine Rakete dort …

Feindjäger passierten seine Nase auf der Jagd nach seinen Staffelkameraden. Noch mehr Abwehrfeuer, weißglühend. Dann ein Feindjäger mit einer Imperiumsmaschine im Nacken, die aus der Bugkanone schoss.

Der Bug des gewaltigen Schlachtschiffs fiel unter ihm weg, und Shumlen legte sich in eine enge Kurve, da die Schubdüsen die letzten Treibstoffreste verbrannten und er den allerletzten Feindanflug seiner Laufbahn begann.

»Nachricht von der Omnia Vincit, Herr Kapitän!«, brüllte Kreff. Kapitän Wysmark schien ihn nicht zu hören. Der Kapitän stand vor der Hauptkonsole und veränderte die Einstellungen.

»Herr Kapitän?«

Dieses Summen. Kreff konnte es hören. Was war es nur? Er bekam Ohrenschmerzen davon.

»Herr Kapitän!«

Wysmark sah zu ihm auf. »Kreff?«

»Die Omnia Vincit gibt Befehl, uns der Formation anzuschließen. Der Flottenkapitän sagt, wir sollen alle Druckschleusen schließen und uns von der Troubadour absprengen.«

»Sagt er das?«

Wysmarks Hände tanzten über die Hauptkonsole.

»Herr Kapitän?«, sagte Kreff alarmiert. »Wir sollten eine Warnung senden und die Schleusengänge räumen lassen, bevor wir …«

Es gab einen allgewaltigen Ruck, der die Brücke der Navarre so schwer erschütterte, dass Kreff umgeworfen wurde. Wysmark blieb auf den Beinen.

In einer Wolke aus Trümmerstücken hatte die Navarre alle Verriegelungen gesprengt und sich von der Troubadour losgerissen. Dabei wurden drei Außendecks dem Vakuum ausgesetzt, doch Wysmark hatte die inneren Schleusen versiegelt und dadurch einen totalen Vakuumeinbruch verhindert.

Dennoch wurden dabei sechsundneunzig Marinesoldaten ausgesperrt, die in der letzten halben Stunde um das nackte Leben der Navarre gekämpft hatten und durch dieses drastische Manöver zum Tod im Vakuum verurteilt wurden.

Die Troubadour fiel von der Fregatte weg und verlor dabei Material und Trümmer. Sie sank der funkelnden Schar der Pilgerschiffe in den oberen Schichten der Atmosphäre entgegen.

Als die Triebwerke der Navarre zündeten, kam ihre Nase nach oben und wendete sich von dem hellen Planeten unter ihr ab.

Wysmark übertrug die Funktionen des Feuerleitstands auf seine Konsole und erteilte den Batterien der Navarre einen Feuerauftrag. Als die Aktualitätssphäre die Zielerfassung bestätigte, schoss er.

Die Navarre sprengte die davontaumelnde Troubadour in eine Milliarde funkelnde Splitter.

»Herr Kapitän! Wir müssen uns in die Flottenformation eingliedern!«, stammelte Kreff, während er aufstand. Er war erstaunt über die Brutalität des Kapitäns. Besatzungsmitglieder waren soeben gestorben, und zwar unnötig. Wysmark ignorierte ihn, aber die Navarre wendete dennoch.

Kreff gesellte sich zu seinem Kapitän an der Hauptkonsole und las die Anzeigen. Maschinen auf volle Leistung, Schilde hoch, Waffen scharf …

Und ein rotes Licht, das Kreff nicht kannte.

Kreff zuckte zusammen, als ihm aufging, dass es kein Licht, sondern ein Tropfen Blut auf einer leuchtenden Rune war.

Ein weiterer Tropfen fiel daneben.

Aus der linken Tränendrüse des Kapitäns lief Blut.

Das Summen war wieder da, so laut, so ungeheuer laut …

»Herr Kapitän?«

»Zielerfassung, bitte, Erster.«

»Zielerfassung?« Kreff schrak vor Bestürzung einen halben Schritt zurück. Die Sonnenwende, das Schwesterschiff der Navarre, glitt langsam ins vordere Blickfeld. Sie wandte ihnen die Flanke zu, da sie Kurs auf den sich nähernden Feind genommen hatte.

»Jetzt, wenn Sie so gut wären, Kreff!«

»Herr Kapitän, das ist eins von unseren!«

Die Knöchel brachen ihm die Nase, und er biss sich die Lippe durch. Vor Schmerzen aufschreiend und Blut spuckend, fiel Kreff seitlich zu Boden.

»Herr Kapitän!«

Es summte, summte, summte …

Die Navarre ruckte, als ihre Hauptlanzen feuerten. Die Strahlen, auf volle Ladung gestellt, durchbohrten die Flankenpanzerung der Sonnenwende und öffneten ihre Innendecks dem Weltraum. Ihre gesamten zweitausend Meter zerknitterten wie Metallfolie und rissen auseinander. Einen Moment später gingen ihre Reaktoren hoch. Wo gerade noch die Sonnenwende gewesen war, blieb nur noch ein weißglühender Feuerball.

Die sich ausweitende Schockwelle traf den Bug der Navarre. Das Schiff bockte und schaukelte wie ein scheuendes Wildpferd. Kreff fiel zum dritten Mal auf das Deck.

Am Boden liegend, sah er zu Wysmark hoch. Er tat seit zehn Jahren unter ihm Dienst, zehn Jahre der Loyalität und Hingabe. Blut lief Wysmark aus Nase und Augen, und seine Miene war seltsam schlaff.

Er war nicht mehr der Offizier, dem Kreff zu oft, um es zu zählen, in den Schlund des Todes und wieder heraus gefolgt war.

Kreff fummelte an seinem Uniformhalfter herum und zog seine Dienstpistole.

Ohne ihn anzusehen, hatte Wysmark bereits die kompakte Automag aus der Halterung unter der Hauptkonsole gelöst. Er richtete sie auf Kreff und schoss, die Aufmerksamkeit beständig auf den Hauptschirm gerichtet.

Der erste Schuss zerschmetterte Kreffs Becken. Der zweite brach drei Rippen und verursachte einen Riss in der Lunge. Der dritte zermalmte Kreffs rechtes Ohr und prallte jaulend vom Deck ab.

Vor Schmerzen ächzend und schluchzend und stoßweise atmend, lag Kreff in einer sich rasch vergrößernden Lache seines eigenen Bluts am Boden. Mit zitternder Hand hob er die Dienstpistole und schoss Wysmark seitlich in den Kopf.

Der Kapitän schwankte. Die Aufprallwucht des Treffers ließ ihn erbeben. Die linke Seite seines Schädels platzte nach außen, und blutiges Gewebe tropfte auf seinen mit Litzen verzierten Kragen. Er kippte schwer nach links.

»Helfen Sie mir! Helfen Sie mir!«, keuchte Kreff.

Fähnriche und Servitoren kamen zu ihm gelaufen und hoben ihn hoch.

»Navarre an Omnia Vincit! Navarre an Omnia Vincit!«, brüllte Kreff ins Sprechgerät.

 

»Die Sonnenwende … ist explodiert …«, stammelte Valdeemer.

»Explodiert? Wie das?«, wollte Esquine wissen.

»Die Navarre … sie hat auf sie geschossen. Direkte schwere Treffer mittschiffs.«

»Ketzer haben die Navarre übernommen. Der Imperator beschütze uns!«

»Wie lauten Ihre Befehle, Flottenkapitän?«, fragte Velosade.

»Säubern Sie mein Geschwader«, sagte Esquine. Tränen der Wut standen in seinen Augen.

»Zielerfassung! Die Navarre!«, bellte Velosade.

 

Die Seitenbatterien der Omnia Vincit flammten auf und blieben so. Die Schilde der Navarre absorbierten den gnadenlosen Beschuss mehrere Sekunden lang und wirbelten und schillerten dabei wie geschmolzenes Glas. Dann brachen sie langsam zusammen. Die Navarre sackte mit geborstenem Rumpf und brennend weg. Ihre Antigrav-Vorrichtungen waren nicht mehr in Betrieb, und sie stürzte mit dem Heck voran der Gravitationsquelle des Planeten entgegen. Eine schwere Explosion zerstörte das Schiff von innen, bevor es auf die Atmosphäre traf.

Auf der Brücke der Navarre versuchte der Erste Offizier Kreff immer noch, die Omnia Vincit auf der Flottenfrequenz zu erreichen, als er starb.

Die Trümmer der Navarre regneten der Oberfläche Herodors entgegen und wurden in den oberen Atmosphärenschichten zu glühenden Meteoriten.

 

Einer dieser Meteoriten war eine ganz normale Rettungskapsel. Sie ruckte und bebte heftig und klapperte und vibrierte auf ihrem Sturzflug.

Die beiden zwergenhaften Psioniker heulten vor Entsetzen und zuckten bei jedem Ruck zusammen. Der große Mann in den grünen Seidengewändern murmelte ihnen beruhigende Worte des Trostes zu, als seien sie seine Kinder, während seine massigen, tätowierten Arme sie festhielten.

»Wir sind gleich da«, sagte Pater Sünde. »Jeden Augenblick …«

»Sind Sie bereit?«, fragte Mkvenner leichthin.

Gol Kolea zog die Vorderseite seiner Uniformjacke gerade und nickte. Seite an Seite marschierten sie durch den Eingang zum Quartier der Tanither.

Der Weckruf war ein paar Minuten zuvor ergangen, und die Soldaten standen gerade auf. Wasserkessel klapperten auf Ofenringen, und Männer zogen sich an.

Es war wie jeden Morgen in der Garde, simple Routine. Nur der Ort der Unterbringung – allem Anschein nach eine Schola, überlegte Kolea – war anders.

Das ließ ihn lächeln.

»Morgen, Gol«, sagte Obel im Vorbeigehen. Kolea nickte. Niemand beachtete ihn. Die Neuigkeiten waren noch nicht bis hierher vorgedrungen.

Er wanderte durch die Reihen der Kojen und sah sich auf der Suche nach vertrauten Gesichtern um. Tief im Herzen verspürte er Trauer darüber, dass einige Gesichter nicht mehr da waren. Muril … Piet Gutes … Gleich noch mal Bragg …

»Das ist Ihres«, sagte Mkvenner.

Kolea blieb stehen und schaute auf ein ungemachtes Feldbett. Sein Rucksack war da.

Er sah zu Mkvenner hoch. Der hagere Tanither erwiderte den Blick und schüttelte den Kopf. »Eine Nacht, die ich nicht vergessen werde. Ein Gefallen, den ich zu erwidern gedenke.«

»Kein Grund, Ven.«

»Sie haben mir das Leben gerettet«, sagte Mkvenner. »Das müssen Sie bei mir wieder gutmachen.«

Kolea grinste.

»Ich sehe Sie später, Kolea«, sagte Mkvenner und ging durch den Schlafsaal davon.

Kolea saß einen Moment still da, während es rings um ihn geschäftig wurde. Dann zog er Jacke und Unterhemd aus und öffnete seinen Rucksack, um ein frisches Hemd herauszuholen. Das Gewicht der Gipsfigur in seiner Jackentasche erinnerte ihn daran, dass sie da war. Er holte sie heraus, betrachtete sie einen Moment und verstaute sie dann um der Sicherheit willen in seinem Rucksack.

Er fand ein zusammengefaltetes Unterhemd und schüttelte es aus, um es anzuziehen.

»Du weißt, wie man sich anzieht, oder nicht, Gakschädel?«

Kolea sah auf. Cuu kam in Unterhose vorbei, geradewegs aus dem Duschenblock. Er hatte sich ein Handtuch um die Schultern gelegt. Die schmerzhaft weiße, ungesunde Haut seines mageren, sehnigen Leibs war mit primitiven Tätowierungen übersät. Er grinste Kolea höhnisch an.

»Soll ich helfen, Gakschädel? Soll ich dir beim Anziehen helfen, du erbärmlicher Gakschädel?« Cuus Stimme war leise, aber scharf. »Soll ich dir auch den Arsch abwischen? So sicher wie sicher soll ich das.« Er lachte.

»Sie müssen in meiner Abwesenheit ziemlich runtergekommen sein«, sagte Kolea leise.

»Hä?«

»Sie waren schon immer ein kleiner Scheißer, Cuu, aber einen hirngeschädigten Veteran zu piesacken? Wo ist Ihr Gefühl für Regimentsehre geblieben, Sie hinterhältige Eiterbeule?«

Cuus Augen und Mund öffneten sich sehr weit. Er wich einen Schritt zurück. In ihrer unmittelbaren Umgebung war es plötzlich sehr still geworden.

Kolea erhob sich. Er überragte Cuu, und sein nackter Oberkörper mit den Armen war massiv, vor allem neben Cuus knochiger Gestalt.

»Du … du …«, stammelte Cuu.

»Ja, ich. Ich bin wieder da. Und jetzt verschwinde, bevor ich dir dein Rattengenick breche.«

Cuu verschwand.

»Sergeant?«, sagte Lubba, indem er sich von seinem Feldbett erhob. Er starrte Gol blinzelnd an. »Sergeant?«

»Morgen, Lubba. Wie geht’s denn so?«, sagte Kolea fröhlich und setzte sich wieder.

Geflüster griff auf den gesamten Saal über. Stimmen redeten hektisch.

»Gol?«, sagte Corbec, der am Ende der Reihe auftauchte und zu ihm kam. Mkvenner war bei ihm.

»Hallo, Herr Oberst.«

Corbec schüttelte seinen zotteligen Kopf. »Gaunt hat mir erzählt, was passiert ist, aber ich habe es für mich behalten, bis … bis … Feth! Was ist passiert?«

»Tja, das ist eine komische Sache …«, begann Kolea. Der Rest seines Satzes verlor sich in der erdrückenden Gewalt von Corbecs herzlicher Umarmung.

 

»Ich habe den Eindruck, seine Rückkehr wird allgemein sehr begrüßt«, sagte Dorden.

Zweil gab ein glucksendes Geräusch von sich und nickte. Der Doktor schob Zweils Rollstuhl durch den Gang zwischen den Reihen leerer Feldbetten zu der lärmenden Soldatentraube in der Mitte des Schlafsaals. Kolea war mitten darin, lachte und schwatzte und beantwortete eine Salve aufgeregter Fragen, so gut er konnte.

Alle waren da, der Morgendrill war vergessen. Jemand hatte Kisten mit warmem Brot aus einer nahen Bäckerei bringen lassen, und Marketender fuhren Kannen mit heißem Kaffee auf kleinen Karren herein.

Nein, nicht alle, nahm Dorden zur Kenntnis. Durch die Reihen der Feldbetten sah er Lijah Cuu, der sich anzog. Ab und zu merkte Cuu auf, wenn Gelächter aus der Menge ertönte.

»Erzähl es doch noch mal …«, rief Varl. »Du hast was gemacht?«

Kolea zuckte die Achseln. »Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern. Ich habe mir Sorgen um Ven gemacht, und jemand hatte gesagt, das Wasser im Balnearium würde alle Wunden heilen.«

»Das sagen sie hier wirklich«, nickte Lubba feierlich.

»Und sie hat dich geheilt?«, fragte Soric.

»Ich nehme es an. Eigentlich glaube ich, dass sie Ven geheilt hat. Ich war nur im Weg.«

Die Geister lachten.

»Hören Sie, dass ich mich beklage?«, fragte Mkvenner.

»Würde sie mich auch heilen?«, fragte Varl, indem er auf seine künstliche Schulter zeigte.

»Im Leben nicht, Ceg. Sie heilt nur solche, die es verdient haben.«

Mehr Gelächter.

»Was ist mit mir?«, fragte Domor.

»Sie sind genauso schlimm wie Varl, Shoggy«, sagte Kolea. »Und außerdem wollen Sie doch Ihre besonderen Sehfähigkeiten gar nicht mehr missen, oder?«

Domor zuckte die Achseln. »Der Imperator beschützt«, räumte er ein.

»Was ist mit mir?«, rief Larkin von hinten.

»Keine Ahnung, Larks. Was stimmt denn nicht mit Ihnen?«

»Wo sollen wir anfangen?«, platzte Bonin dazwischen.

Die Menge brach wieder in Gelächter aus.

»Würde sie mich heilen?«, fragte Chiria leise.

Kolea betrachtete ihr vernarbtes Gesicht. Sie war nie besonders hübsch gewesen, aber er wusste, die Narben in ihrem Gesicht waren das Schlimmste, was ihr je widerfahren war. Er seufzte. »Wer weiß? Ich frage sie.«

Chiria lächelte. Nessa legte ihr einen Arm um die Schultern.

»Ich nehme an, Sie wollen Ihren Trupp zurück, Gol«, sagte Criid.

Kolea schüttelte den Kopf. »Ich sehe, dass Sie ausgezeichnete Arbeit geleistet haben, Sergeant. Es wird mir eine Ehre sein zu dienen.«

Es gab reichlich Jubel und Zustimmung. Criid errötete, und Caffran betrachtete sie mit einem stolzen Lächeln.

»Aber ich muss Ihnen danken«, sagte Kolea, als sich der Lärm ein wenig gelegt hatte.

»Mir?«, fragte Criid. »Wohl eher andersherum. Sie haben mich jetzt schon zweimal gerettet, und beim ersten Mal wurden Sie … verwundet.«

»Vielleicht. Aber das zweite Mal hat mich wieder gesund gemacht.«

»Was?«

»Ich erinnere mich nicht mehr so genau, was Ihnen zweifellos nicht ganz unlieb sein wird, aber als ich Sie auf der Straße aufgehoben habe, hatten Sie diese … diese Figur in Ihrer Tasche. Eine kleine Statue aus Gips. Ein ziemlich schreckliches Ding.«

Criid nickte. »Die hat mir ein alter Mann gegeben. Ein Pilger. Draußen in Glaswerke. Er wollte mir damit dafür danken, dass ich mich um ihn gekümmert hatte.«

»Jedenfalls habe ich die Figur gefunden. Sie hat mich … hat mich in meiner Beschränktheit an etwas erinnert. Mich über die Heilige nachdenken lassen und darüber, wie sie Menschen geheilt hat. Ich glaube, deswegen habe ich Ven letzten Endes ins Balnearium gebracht.«

»Sie haben ständig über das verflixte Ding geredet«, bestätigte Mkvenner.

»Es gehört ohnehin Ihnen«, sagte Kolea zu Criid. »Ich habe es nur in Verwahrung genommen.«

Sie zuckte die Achseln. »Ich will es gar nicht. Es ist so verdammt hässlich. Ich bin nur froh, dass es einen Nutzen hatte.«

»Ich würde es gern sehen, wenn ich darf«, sagte Zweil undeutlich. Die Menge machte höflich Platz, um den Doktor und den alten Mann durchzulassen, den er im Rollstuhl schob. Zweil saß in einem merkwürdigen Winkel, und die Hälfte seines Gesichts war eigentümlich schlaff.

»Natürlich, Vater«, sagte Kolea.

»Normalerweise würde ich mich mit solchen Kleinigkeiten nicht abgeben«, sagte Zweil in dem Bemühen, jedes Wort sorgfältig auszusprechen, »aber meine Brüder verlangen, dass auch die winzigste Kleinigkeit im Zusammenhang mit einem Wunder untersucht wird. Das ist die heilige Ordnung der Dinge.«

»Es ist in meinem Rucksack«, sagte Kolea. Er sah die Soldaten an.

»Ich hole es, Sergeant«, sagte Criid. Sie löste sich aus Caffrans fester Umarmung und bahnte sich einen Weg durch die Menge.

»Was war es für ein Gefühl?«, rief Feygor mit seinem kehlig und monoton klingenden künstlichen Kehlkopf. »Hat es wehgetan?«

»Was denn?«

»Das Wunder, Sie Feth.«

»Ja«, sagte Zweil mit einem Nicken. »Was war es für ein Gefühl, Gol?«

»Das habe ich mich auch gefragt«, fügte Dorden hinzu.

»Na ja …«, begann Kolea.

 

Hinter ihr gab es viel Gelächter und Gebrüll. Criid schritt die Reihen mit leeren Feldbetten ab. Sie spürte das Lächeln auf ihrem Gesicht. Es wollte nicht verschwinden. Kolea war wieder da. Kolea war wieder da! Das musste der schönste Tag ihres Lebens sein. Zusammen mit dem Tag, als sie zum Sergeant befördert worden war, und dem Tag, als Caffran ihr gesagt hatte, dass er sie liebte.

Ihr war gar nicht klar gewesen, wie sehr sie Kolea vermisst hatte, und sie wusste nur zu genau, dass sie ihm alles verdankte. Ohne ihn wäre sie in den Straßen Ouranbergs gefallen.

Sie fand Koleas Feldbett und durchwühlte seinen Rucksack. Alles war so ordentlich und präzise, alles war gefaltet und gebügelt. Kolea würde sie für das Chaos hassen, das sie in seinem Rucksack anrichtete.

Von der Figur war nichts zu sehen. Sie drehte den Rucksack um und leerte den Inhalt auf die Matratze. Kleidung, Reserve-Magazine, Rasierzeug, Stiefelwichse, ein Päckchen Spielkarten, ein Stapel hololithische Ausdrucke, die in einem vergilbten Umschlag steckten.

Und die Figur. Wirklich ein hässliches Ding. Die grelle Bemalung war noch schlimmer, als sie sie in Erinnerung hatte.

Sie legte die Figur an die Seite und packte Koleas Sachen wieder in den Rucksack. Die Foto-Ausdrucke fielen aus dem alten Umschlag, als sie ihn aufhob.

Sie warf einen Blick darauf.

Ein Mann. Eine Frau. Ein kleiner Junge. Ein Baby. Gruppenfotos, Einzelaufnahmen. Ein Vater mit einem Neugeborenen auf dem Arm. Eine Mutter und ihre Kinder.

Der Mann war Gol Kolea. Jünger natürlich. Sauberer. Ein Bild zeigte ihn als Grubenarbeiter.

Plötzlich stutzte sie.

Sie waren zwar Jahre jünger, aber sie erkannte die Gesichter der Kinder. Dalin und Yoncy. Und die Mutter. Sie hatte die Mutter nur ein paar kurze Minuten lang gesehen, im Bahnhof C4/a in der Vervunmakropole. Criid hatte ihr mit ihrem Jungen und dem Kinderwagen helfen wollen. Dann waren die Granaten eingeschlagen.

Gak! Sie hatte diese Frau sterben sehen, diese Frau auf den Bildern. Die Mutter der Kinder, die Criid nun als ihre eigenen betrachtete.

Was um alles in der Welt machten diese Bilder in Gol Koleas R …

»Nein«, sagte sie. »Heiliger Imperator, nein!«

Sie stand auf und fiel zu Boden, wobei sie den offenen Rucksack vom Feldbett riss. Koleas Zeug fiel auf den Boden. Sie kroch auf dem Boden herum, sammelte die Sachen wieder ein und stopfte sie in den Rucksack.

Eine Alarmsirene fing so laut an zu heulen, dass sie zusammenfuhr.

»Tut mir Leid, dass ich die Gesellschaft auflösen muss, Mädels«, rief Rawne, der nicht so klang, als täte es ihm Leid. Er schob sich durch die Menge der Geister rings um Kolea. Sirenen heulten.

»Wir bekommen Arbeit. Der Erzfeind ist in der Umlaufbahn und landet, und wir rechnen mit Massenangriffen in der nächsten Stunde. Zieht euch an, holt eure Ausrüstung und macht euch fertig. Wenn ihr gläubig seid, bittet den Gott-Imperator um seinen Segen. Wenn ihr Laien seid, nehmt den Kopf zwischen die Beine und gebt eurem verdammten Arsch einen letzten Kuss. Es wird ernst.«

Die Menge der Geister löste sich sofort auf. Soldaten liefen zu ihren Feldbetten, zogen sich eiligst an und machten ihre Waffen bereit.

»Ist es so schlimm?«, fragte Corbec, der neben Rawne auftauchte.

»Schlimmer, als Sie sich möglicherweise vorstellen können«, erwiderte der Major.

 

Sie kamen. Die Inkarnadine, die Cicatrice, die Lauf der Gefahr. Nebeneinander aufgereiht wie Jagdhunde an der Leine flogen sie in einem Winkel von zwanzig Grad zur Ebene der Ekliptik heran. Und die Wiedergänger? Wo war die?

Sie kam aus der Sonne und vernichtete Pilgerschiffe. Die Frachter des Entsatz-Geleitzugs hatte sie bereits eingeäschert.

Esquines Anspannung nahm zu. Es war immer noch machbar. Er hatte noch genügend taktische Möglichkeiten und drei Schiffe zu seiner Verfügung. Die Omnia Vincit war ein extrem starkes Flaggschiff. Die Laudate Divinitus war ebenfalls fähig. Die Fregatte Pracht von Cadia war der Aufgabe ebenso gewachsen.

Ihre Kapitäne erschienen vor ihm auf dem Deck des Strategiums als rötliche Hologestalten.

Kapitän Cask von der Pracht.

Kapitän Massinga von der Laudate.

»Der Imperator, der uns das Leben gibt, prüft uns jetzt auch«, sagte Esquine.

Beide Hologestalten nickten.

»Das Kräfteverhältnis ist nicht so schlecht, obwohl wir unterlegen sind. Massinga, die Wiedergänger gehört Ihnen. Schießen Sie sie mit Mann und Maus in die Hölle.«

»Das werde ich, Flottenkapitän.«

»Cask, Sie bleiben bei mir. Wir tragen diesen Kampf zum Herzen des Feindes.«

»Der Imperator beschützt«, sagte Casks Hologestalt knisternd über Kom.

»Kampfgeschwindigkeit!«, befahl Esquine.

»Kampfgeschwindigkeit!«, übermittelte Velosade durch das Strategium.

Valdeemer lehnte sich an eine Schleuse. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

 

Das riesige Schlachtschiff Omnia Vincit entfernte sich, flankiert von seiner viel kleineren Schwester, der Fregatte Pracht von Cadia, vom kühlen Licht Herodors und flog dem Trio der Kriegsschiffe des Erzfeindes entgegen.

Der schwere Kreuzer Laudate Divinitus bog nach backbord ab, und seine Schubdüsen flammten auf, während er Kurs auf die Wiedergänger nahm.

Die Wiedergänger schoss Pilgerschiffe ab und brachte sie zur Explosion wie Papierziele in den Schießbuden eines Jahrmarkts. Einige ergriffen die Flucht. Damit machten sie die Zielerfassung der Wiedergänger nur auf sich aufmerksam. Ihre Geschütze beharkten die durchsichtige Haut der oberen Atmosphärenschicht. Schiffe explodierten oder brannten aus.

Eine Torpedosalve des sich nähernden Schweren Kreuzers erschütterte die Schilde der Wiedergänger, und sie schwang herum, um sich dem imperialen Kriegsschiff zu stellen.

Der Schwere Kreuzer war um ein Drittel größer als das rot-goldene Feindschiff. Sein Jagdschutz schwärmte von ihm aus wie eine Staubwolke und traf augenblicklich auf den Jagdschutz des Rivalen. Während sich die gewaltigen Kriegsschiffe einander mit flammenden Laser- und Plasmageschützen näherten, umschwirrten sich die winzigen Jäger, da die Wolken sich vereinten und viele Staubpartikel in die Unendlichkeit gewirbelt wurden.

Die Laudate Divinitus feuerte eine Salve aus Lanzen und Torpedos ab. Die Wiedergänger gab Vollschub, während ihre Schilde weiß aufloderten. Sie feuerte ihrerseits eine volle Breitseite ab, während sie vor dem Bug der Laudate davonlief.

Der Schwere Kreuzer des Imperiums erbebte. Einer seiner Schilde erlosch.

Das Heck der Wiedergänger schwenkte hart herum, und ihr Bug drehte sich um fünfundvierzig Grad, sodass er genau auf den erloschenen Schild der Laudate wies.

Sie feuerte ihre Hauptlanzen ab.

Die Laudate Divinitus explodierte nicht. Sie brach in einer Reihe ruckartiger Krämpfe auseinander, die wie Hustenanfälle aussahen. Das letzte Beben trennte den Antrieb vom Rumpf und sandte eine Schockwelle aus, die neun vor Anker liegende Pilgerschiffe zerstörte.

Die Wiedergänger tauchte in die dünnen Schichten der oberen Atmosphäre ein und spie Landekapseln und Landungsboote aus.

Zu Hunderten.

 

Die Pracht von Cadia traf die Cicatrice so schwer und mit solcher Wucht, dass sie zu brennen begann. Esquine genoss den Sieg, als er sah, dass das Feindschiff wendete.

Die unrettbar verlorene Cicatrice opferte sich und verbrauchte ihre letzte Reaktorkraft, um Vollschub nach vorn zu geben. Sie rammte die Pracht mittschiffs, und die beiden Schiffe brannten in gemeinsamer Umarmung wie eine kleine Sonne im planetennahen Raum.

Die Lauf der Gefahr und die gewaltige Inkarnadine deckten die Omnia Vincit mit ihren Batterien ein. Esquine spürte die Schmerzen der Schilde.

»Nehmen Sie das Hauptschiff aufs Korn, Velosade«, keuchte er.

 

Shumlen gab Vollschub und flog den geöffneten und hell erleuchteten Schleusen des Steuerbord-Starthangars der Inkarnadine entgegen. Er spürte, wie er in den Antigravsessel gepresst wurde, als der Schub einsetzte. Sein Feuerleitsystem hatte die Hangaröffnung erfasst.

Noch eine Rakete übrig.

Etwas flog aus der Schleuse und ihm entgegen.

Ein Feindjäger, ja. Aber einer, der wie eine Fledermaus aussah. Eine dunkle, gezackte Form. Klein, schnell, kein Jäger der Heuschrecke-Klasse, da war er sicher. Etwas, das nach Xeno roch. Sehr nach Xeno.

Er wendete, um Jagd darauf zu machen. Die Fledermaus wendete ebenfalls und war plötzlich hinter ihm. Shumlen versuchte den feindlichen Jäger auszumanövrieren und in eine relative Position zu ihm zu gelangen, die ihm ermöglichen würde, seine letzte Rakete auf ihn abzufeuern. Die Fledermaus ließ ihn nicht zum Zug kommen.

Shumlen legte seine Maschine in eine enge Kurve nach der anderen. Er bekam die Fledermaus einfach nicht ins Fadenkreuz.

Er flog noch eine letzte Kurve, und die Antriebssirene fing an zu heulen.

Kein Treibstoff mehr. Er trieb antriebslos im Raum.

Die Fledermaus raste an ihm vorbei, kehrte dann um und setzte sich neben ihn.

Shumlen betrachtete den Jäger genauer. Sein Erkennungssystem summte die Bestätigung.

Ein Rabe.

Ein Angriffsboot der Dunkeleldar vom Typ Rabe.

Es verharrte noch einen Augenblick neben ihm, dann schoss es davon.

Sein Jäger hatte keine Antriebskraft mehr. Shumlen trieb tot im All und sah sich um. Die riesige Inkarnadine walzte ihm entgegen.

Und traf ihn wie eine Felswand. Sein winziger Jäger explodierte und flammte für einen Moment auf, als ihn der massige Bug des Schlachtschiffs rammte. Die Inkarnadine spürte den Zusammenstoß nicht einmal.

Der Rabe, der in der Nähe kreiste, wackelte einmal mit den gezackten Flügeln, da sein Insasse den Tod eines ausgezeichneten Piloten zur Kenntnis nahm, dann wendete er und jagte dem fahlen Glanz Herodors entgegen.

Die Kontrollkonsole des schlanken Raben reflektierte gelbes Licht auf die Züge Skarwaels. Er grinste, eine Fratze aus gebleckten Zähnen und gespannter weißer Haut.

Das blutige Spiel hatte begonnen.

 

Jede Alarmsirene in der Civitas Beati heulte. Sogar die großen Gebetsverstärker an den Viertelkompassstrichen der Stadt jaulten auf- und abschwellend. Sturmschilde schlossen sich vor allen Fenstern, Plattformen und Öffnungen der Makropoltürme und in den Innensektoren der Civitas. Segmentierte Panzerplatten fuhren hoch, um die Glaskuppeln der agroponischen Anlagen zu schützen.

Auf den Straßen herrschte Aufruhr. Die Stadtbewohner flohen in Massen in die unterirdischen Bunker, in die Sturmschutzkeller und in die untersten Ebenen der Makropoltürme. Technisch gesehen gab es für jeden einen zuständigen Bunker, aber die Protokolle waren alt, und man hatte seit Generationen keinen Gebrauch von ihnen gemacht. Die Stadtbewohner beachteten sie nicht oder kannten sie gar nicht erst und flohen hysterisch zur nächsten Schutzmöglichkeit.

Die Schnellstraßen und Prinzipale der Mittelstadt und der Außenbezirke waren völlig verstopft. Viele Fahrer waren bereits seit dem Morgengrauen unterwegs, und der normale Verkehr wurde durch private Fahrzeuge aufgebläht, die quer durch die Stadt zu eingebildeten sicheren Orten unterwegs waren. Der Verkehr kam stellenweise völlig zum Erliegen, und die Leute ließen ihre Fahrzeuge einfach stehen. In einigen Außenbezirken waren die Straßen leer bis auf Reihen verlassener Automobile, die zum Teil mit laufendem Motor und zumeist mit offenen Türen aufgegeben worden waren.

 

Die Hauptkasernen des Regiments Civitas Beati war ein imposanter Burgfried oberhalb von Prinzipal I im höher gelegenen Teil der Stadt zwischen den Makropoltürmen eins und zwei. Im Haupthof innerhalb der Mauern versammelte sich das Regiment und teilte sich in seine Elemente auf. Kolonnen gepanzerter Truppentransporter und leichter Panzerfahrzeuge ratterten die Rampen der Garagen unter dem Burgfried empor und wurden von Einweisern zu den Einladepunkten dirigiert, wo sie in der Theorie die ihnen zugewiesenen Trupps aufnehmen würden. Für Einsatzbesprechungen war keine Zeit. Anweisungen würde man unterwegs über Tak-Log bekommen. Alle wussten nur, dass sie BAE 3 folgten – Bodenangriffserwiderung 3 –, einer von Biagi entwickelten Notfallstrategie.

Timon Biagi persönlich stand in der offenen Luke eines gepanzerten Kommandofahrzeugs und lauschte Tak-Logs Meldungen in seinem Ohrhörer, während er den Aufmarsch beobachtete. Soldaten, von denen sich manche noch die Rüstung umschnallten, strömten aus dem Burgfried auf den Hof und liefen zu den Plattformen der Rüstmeister, um sich mit Munition und anderem Kriegsgerät zu versorgen. Biagi war der zweihundertfünfte Marschall der Civitas. Von dieser Stunde an würde es sein Name und nur sein Name sein, an den Historiker denken würden, wenn vom Regiment Civitas Beati die Rede war. Denn er würde der Marschall sein, der neben Sabbat gestanden hatte, als sie zurückgekehrt war. Würden sie von ihm denken wie von Kiodrus?, fragte er sich. Ein zweiter Kiodrus. Die Vorstellung gefiel ihm.

Biagi schaute zum Himmel empor. Er war ungewöhnlich klar für die Jahreszeit, und das violette Morgengrauen verwandelte sich in einen kühlen weißen Dunst. In einer Ecke des Himmels war die Zukunft zu sehen. Blitze, stroboskopartiges Leuchten und ein Dickicht aus funkelnden Streifen, im zunehmenden Licht gerade sichtbar, identifizierten den monumentalen Krieg, der jetzt in der Umlaufbahn stattfand. Ein Krieg zwischen Göttern, dachte Biagi.

Von hier unten, wo er stand, sah er aus wie Feuerwerk.

Die Elemente der Geister und der Leibkompanie rückten in Reihen von Lastwagen und Truppentransportern aus den Makropoltürmen aus und strebten dem Ring der städtischen Außenbezirke entgegen. Panzer und Panzerfahrzeuge der Leibkompanie fuhren voran und räumten Reihen abgestellter Fahrzeuge aus dem Weg, wo sie die Durchgangsstraßen und Kreuzungen versperrten.

Gaunt fuhr mit Corbec und Hark in einem Salamander. Einige Straßen lang hielten sich Hydra-Geschützplattformen neben ihnen und bogen dann nach rechts und links ab, um gute Feuerstellungen auf freien Plätzen in den hügeligen Innenstadtbereichen der Civitas einzunehmen.

»Das ist Lugos Plan?«, fragte Hark.

Gaunt schüttelte den Kopf. »Er wird die Lorbeeren für sich in Anspruch nehmen, aber tatsächlich ist es Kaltenbachs.«

»Ich habe mir doch gleich gedacht, dass er zu raffiniert für diesen Arschwischer ist«, sagte Corbec und stutzte dann bei Harks missfälligem Blick.

»Habe ich das laut gesagt?«, grinste er.

Der Plan sah vor, die Hauptstreitmacht im geografischen Zentrum der Stadt am Rand von Gildenhang zu versammeln und zu warten. Nicht einmal in ihrer Gesamtheit hatten Tanither, Leibkompanie, Regiment Civitas und die Planetaren Streitkräfte Herodors auch nur annähernd genügend Truppen, um die gesamte, riesige Stadt mit einem Sperrkordon zu umgeben. Der erste Offiziar Leger hatte sogar die Arbites der Stadt und die Bürgerwehr zur Unterstützung des Militärs zur Verfügung gestellt, aber ihnen fehlten dennoch die erforderlichen Leute.

Die imperialen Streitkräfte würden in der Stadtmitte warten, an einer Stelle also, von wo alle Randgebiete gleich weit entfernt waren, und sehen, aus welcher Richtung der Bodenangriff kam. Dann würden sie rasch darauf reagieren, Lastwagen einsetzen und ihre Bemühungen auf eben diesen Bereich konzentrieren.

Es ließ sich unmöglich vorhersehen, woher die erste Angriffswelle kommen würde. Gaunt hatte schon zu viele Angriffe aus der Umlaufbahn erlebt – sowohl als Angreifer wie auch als Angegriffener –, um etwas anderes zu denken. Es gab zu viele Unwägbarkeiten.

Den Daten nach, die Gaunt gesehen hatte, waren mindestens vier Kriegsschiffe des Erzfeindes über ihnen. Ohne Gegner konnte ihre vereinte Feuerkraft die Civitas bis auf die Grundmauern zerstören: Straßen, Habs, Makropoltürme, sogar die gepanzerten Bunker unter der Erde. Wenn der Feind beschloss, sich die Mühen und Anstrengungen eines Bodenangriffs zu ersparen und einfach alles zu verwüsten, würde dieser Krieg enden, bevor er überhaupt begonnen hatte.

Ein Faktor sprach jedoch für sie, und darauf verließ sich Gaunt …

»Herr Kommissar!« Auf Corbecs Ruf drehte Gaunt sich um. Der massige Tanither zeigte zum Nordhimmel.

Hoch oben zogen Streifen aus orangem Feuer über den blassen Himmel. Zuerst ein paar Dutzend, dann mehr. Viele Hundert mehr. Wie ein Meteoritenschwarm regneten sie aus der Umlaufbahn herab und ließen dabei lange, absolut gerade und parallele Streifen aus Flammen und Dampf hinter sich zurück.

Es waren keine Meteoriten.

Gaunt sah entfernte Blitze am Nordhorizont, als die Erste herunterkam. Eine Sekunde später hallte aus der Großen West-Obsidae ein Geräusch wie beständiges Donnergrollen zu ihnen herüber.

Landekapseln. Einen Moment empfand Gaunt Erleichterung. Der Erzfeind würde also doch einen Bodenangriff ausführen. Dann wich die Erleichterung einer anderen Überlegung. Der Tod würde nicht rasch und vollkommen sein, sondern langsam, schmerzhaft und hart.

Aber wenn das der Fall war, hatten er und seine Männer zumindest Gelegenheit, es dem Feind mit gleicher Münze zurückzuzahlen.

 

»Fähnrich! Fähnrich!«

In Valdeemers Traum drang eine Stimme ein, die seinen Namen rief und nicht verstummen wollte.

Er blinzelte und stellte fest, dass er im Strategium der Omnia Vincit auf dem Rücken lag.

»Fähnrich Valdeemer! Leben Sie noch?«

Valdeemer richtete sich auf und sah sich um. Alles war voller Rauch, blinkender Alarmlichter und dem unheilvollen Jaulen von Sirenen und Schadensalarmen.

»Fähnrich!«

Er stand auf. Das Deck erbebte, und er stützte sich an einer Konsole ab. Der Servitor an der Konsole arbeitete immer noch fieberhaft, und seine künstlichen Hände huschten über die Anzeige. Der Servitor nahm das Chaos ringsumher überhaupt nicht zur Kenntnis.

Valdeemer schüttelte den Kopf, versuchte die Verschwommenheit abzuschütteln, in die alles gehüllt zu sein schien. Blut spritzte auf das Deck. Er hob die Hand und ertastete eine tiefe Schramme in der Stirn.

Sie hatten einen Treffer abbekommen.

Er hatte neben Esquine gestanden, als der Torpedo sie unterhalb des Brückenturms getroffen hatte. Er erinnerte sich an die betäubende Erschütterung und an umherfliegende Leiber. Ja, richtig. Er war auf das Deck geschleudert worden.

Wie lange war er bewusstlos gewesen?

»Fähnrich!«

Er torkelte nach vorn zum Thron des Flottenkapitäns.

»Herr Kapitän?«

»Sie müssen die Hauptstation bemannen. Schaffen Sie das?« Esquine sah aus, als leide er, als habe er starke Schmerzen, aber körperlich schien er völlig unversehrt zu sein.

»Herr Kapitän? Das ist der Posten des Kommandanten.«

»Tun Sie’s!«

Valdeemer machte kehrt und eilte durch den Rauch zur Hauptstation. Das Deck war mit rauchenden Trümmern und heruntergefallenen Paneelen übersät. Er musste über mehrere Leichen hinwegsteigen. Besatzungsmitglieder, Deckoffiziere, Servitoren, alle waren von der Explosion zerfetzt oder von umherfliegenden Trümmern getötet worden.

Zu ihnen gehörte auch Velosade. Ein Stück Deckpanzerung von der Größe eines Esstellers hatte ihn beinah, aber nicht ganz enthauptet.

Valdeemer musste schwer schlucken, als er den Platz an der Station einnahm und die Schalttafel begutachtete. Drei Schildausfälle. Zwei Lecks im Rumpf. Brände auf den Decks sieben bis achtzehn und außerdem in Hangar vier. Die Lanzen waren ausgefallen. Die strukturelle Integrität betrug nur noch siebenundvierzig Prozent.

»Helfen Sie mir, Valdeemer«, flüsterte Esquine mit zuckenden Fingern.

Valdeemer versuchte einen Beschluss zu fassen. Seine Finger huschten über die Konsole, aktivierten und deaktivierten Runen, riefen Anzeigen auf – Maschine, Struktur, Schilde, Deck-für-Deck – und löschten sie wieder. Er leitete Energie weg von dem gewaltigen Feuerorkan, der auf Deck acht tobte. Er überbrückte zwei beschädigte Cogitator-Knoten auf Deck elf und nahm Lanze drei wieder in Betrieb. Er versiegelte die Deckschleusen, die sich nicht automatisch geschlossen hatten, und unterbrach die Sauerstoffzufuhr zu den untersten brennenden Decks. Er schaltete Reaktor zwei ab, der im roten Bereich arbeitete und eindeutig beschädigt war, und schaltete den Notstrom zu, der vom Notreaktor im Bauch der Omnia Vincit erzeugt wurde.

Warum hatte Esquine all diese Dinge noch nicht erledigt? Es waren allesamt offensichtliche und übliche Maßnahmen. Das große Schlachtschiff blutete und brannte sich zu Tode, und Esquine hatte nicht einmal mit den Notfallmaßnahmen begonnen.

»Meldung?«

»Schaden wurde eingedämmt. Eine Lanze ist wieder in Betrieb. Wir sind jämmerlich schwach, aber ich würde gerne alle Kraft von den Maschinen auf die Schilde umleiten.«

»Tun Sie das, Valdeemer!«

»Ich … ich brauche die entsprechende Befugnis, Herr Kapitän. Ich bin nicht autorisiert!«

»Der Code lautet Vesta 1123!«

Valdeemers blutige Hände zitterten, als sie den Code eingaben. Er leitete die Energie um, wobei er das Protestgeheul der Techpriester überhörte.

»Jagdschutz?«, fragte Esquine drängend.

»Praktisch nicht mehr vorhanden. Ihre kleinen Schiffe umschwärmen uns.«

»Wo ist der Feind?«, fragte Esquine.

Valdeemer drehte sich zum Flottenkapitän um. »Die Inkarnadine steht auf unserer Backbordseite und feuert volle Breitseiten ab. Schilde sind noch bei fünfunddreißig Prozent. Die Lauf der Gefahr steht steuerbord an unserem Bug und richtete ihre Hauptlanzen auf uns aus. Herr Kapitän … können Sie das nicht sehen?«

»Nein«, sagte Esquine, dessen Stimme über den Sirenen und dem Kom-Geschnatter kaum zu vernehmen war.

Der Torpedotreffer hatte die Gedankenverbindung des Flottenkapitäns und damit dessen Verbindung zu dem gewaltigen Schiff durchtrennt. Er war blind und taub und aller fest verdrahteten wie drahtlosen Verbindungen zur Omnia Vincit beraubt, spürte aber noch die Schmerzwellen, die durch das große Schiff zu ihm geleitet wurden, wenn es Schaden nahm.

»Ach du Heiliges Terra …«, hauchte Valdeemer, als ihm dies aufging. Das bedeutete, er hatte jetzt das Kommando. Er, ein junger Fähnrich, hatte tatsächlich die Herrschaft über das Imperiumsschlachtschiff Omnia Vincit.

Wie oft hatte er davon geträumt? Wie viele Stunden hatte er schon damit verbracht, sich nach so einer Rolle zu sehnen?

Aber nicht so. Götter von Terra, nicht im Entferntesten so …

»Befehle, Flottenkapitän?«, übertönte er den Lärm.

Esquines Antwort war nur ein Flüstern. »Töten Sie alle … und wenn das nicht möglich ist, verkaufen Sie unsere Haut so teuer wie möglich.«

Die Inkarnadine schob sich unter Einsatz ihrer Korrekturdüsen näher an die angeschlagene Omnia Vincit heran. Ihre Backbordbatterien hielten ihren brutalen Beschuss aufrecht. Ihre ständigen Abtastungen der Omnia Vincit ergaben, dass sie tot im Wasser lag, da ihre gesamte Reaktorenergie von den Maschinen auf die Schilde umgeleitet worden war. Dadurch war sie zwar eine harte Nuss, aber auch eine ruhende.

Die Lauf der Gefahr, die schräg vor dem Bug an Steuerbord des imperialen Kriegsschiffs lauerte, konzentrierte ihren Lanzenbeschuss auf die Schwachstellen der Schilde, und zwar an der hastig eingerichteten Überlappung an der Stelle des Torpedotreffers, der den fünften Rückenschild zerstört und den Flottenkapitän verkrüppelt hatte.

Die Omnia Vincit erbebte, als die Lauf der Gefahr einen harten, soliden Treffer erzielte. Ein großer Teil des oberen Rumpfs splitterte und löste sich ab.

Die Omnia Vincit feuerte ihre reaktivierte Lanze ab und traf die Schilde der Lauf der Gefahr so schwer, dass sie gezwungen war, sich zurückzuziehen. Die schwitzenden, halb toten imperialen Geschützmannschaften jubelten.

Die vereinigten Jägergruppen der Inkarnadine und der Lauf der Gefahr, die bereits den Jagdschirm der Omnia Vincit ausgelöscht hatten, konzentrierten ihre Bemühungen auf Hangarbucht drei auf der Steuerbordseite. Die letzten Imperiumsjäger wurden von den Schwärmen der mit blitzenden Kanonen heranrasenden Heuschrecken atomisiert.

Drei Heuschrecken gelang es, in die Hangarbucht einzudringen. Eine wurde von den Abwehrgeschützen innerhalb des Hangars zerstört. Die Zweite wurde zwar getroffen, doch es gelang ihr noch, ihre sämtlichen sechs Raketen in den Bauch des Hangars abzufeuern, bevor sie explodierte.

Die dritte beschleunigte, und schaffte es ins Hauptdeck, wo sie sich in eine Rechtskurve legte und in die Munitionsladebucht raste. Bevor ihr dort mit katastrophalen Folgen der Flugraum ausging, feuerte sie noch ihre Raketen in die Autoladeschächte unterhalb der Flugdecks ab, die Munition aus dem gepanzerten Herzen der Omnia Vincit nach oben beförderten.

Die Kettenreaktion sprengte die Seite des edlen Imperiumsschiffs in einer gewaltigen Abfolge aus Unterdeckexplosionen und sich auflösender Panzerplatten. Durchbohrt und mit entblößten Eingeweiden gierte die Omnia Vincit. Im Strategium leitete der verzweifelte Valdeemer drei Prozent der Schildenergie wieder auf den Antrieb um und beförderte das Schlachtschiff damit aus der Würgeklammer der beiden Schiffe des Erzfeindes.

Die Omnia Vincit glitt aus dem Schussfeld der Inkarnadine. Ein dreiprozentiges Absinken der Schildenergie war nicht viel, aber die Lauf der Gefahr, die am Bug wie ein Schakal auf eine entscheidende Blöße wartete, zögerte keinen Augenblick. Sie legte sämtliche Reaktorenergie auf die Lanzen und schoss damit auf die Schwachstelle am Torpedoeinschlag.

Valdeemer wandte sich Esquine zu. Der Flottenkapitän zitterte vor Wut und Gram, ohnmächtig und leidend.

»Es tut mir Leid, Herr Kapitän«, sagte Valdeemer, »aber ich fürchte …«

Er wurde eingeäschert, bevor er noch ein Wort sagen konnte. Esquine wurde ebenfalls eingeäschert, und sein goldener Thron schmolz um seinen verbrennenden Leib. Feuer fegte durch das Strategium und die Brücke, verbrannte Besatzungsmitglieder auf der Stelle und verdampfte Kontrollstationen. Die dicken Panzerglasfenster barsten und wurden von dem durch die extreme Hitze entstehenden Überdruck nach außen geblasen. Die verbliebenen Schilde erloschen.

Die Inkarnadine gab die letzte Breitseite ab, um die Omnia Vincit von ihrem Todeskampf zu erlösen. Aufgerissen, verbogen und geborsten, während die Blitze elektrischer Entladungen über den Rumpf zuckten, wälzte sich die Omnia Vincit auf die Seite.

Die Schiffe des Erzfeindes fuhren die Waffensysteme und Schilde herunter und gingen über Herodor vor Anker.

Die ausgebrannte Ruine der Omnia Vincit blieb noch neunhundertdrei Jahre in der Umlaufbahn um Herodor, bis die Umkreisungen, die keiner Korrektur unterzogen wurden, schließlich enger wurden und das Schiff vom Schwerefeld des Planeten in die Atmosphäre gezogen wurde, wo es verbrannte. Die Teile, die nicht verdampften, erfüllten den Himmel des Südkontinents wie Sternschnuppen und regneten auf das Kleine Süd-Trockenmeer herab, wo sie Einschlagnarben und Krater hinterließen, die später zu radioaktiven Seen in dieser Wildnis wurden.

Aber das ereignete sich natürlich erst, nachdem jede in diesem Bericht erwähnte Person schon viele Jahrhunderte tot war.

 

Die gewaltige Inkarnadine und die Fregatte Lauf der Gefahr gesellten sich zur Wiedergänger und begannen mit dem Absetzen der Landekapseln und Landungsboote. Aus Hunderten wurden Tausende. Landekapseln sausten herab wie Leuchtspurgeschosse. Landungsboote verließen die Hangars und stießen zur Oberfläche herab. Schwere Transporteinheiten koppelten sich ab und gingen in den Sinkflug.

Am hinteren Bauchende der Inkarnadine öffnete sich ein gepanzertes, regenbogenfarbenes Ventil, und ein kleines Objekt schoss nach draußen. Winzig, wie es war, verfügte es doch über einen eigenen Schild und schoss wie eine Rakete durch die Atmosphäre Herodors nach unten. Es hinterließ einen rauchenden Kondensstreifen.

Sein einziger Insasse hatte die Flugbahn festgelegt. Nun raste er benommen der Planetenoberfläche entgegen. Ihm war nichts bewusst außer seinem Hunger nach Blut.

Ihrem Blut.

Die mit dem steilen, rasenden Flug verbundenen Erschütterungen und das Getöse bedeuteten ihm nichts.

Er fiel wie eine Rakete und ging gerade jenseits des Glaswerke-Viertels der Civitas nieder. Der Einschlag schuf einen Krater mit einem Radius von fünfhundert Metern in der Obsidae, und der durch die Druckwelle erzeugte Blitz war so hell, dass die Imperialen einen Moment glaubten, der Erzfeind habe sich doch entschlossen, aus der Umlaufbahn das Feuer auf die Stadt zu eröffnen.

Er war sehr präzise in Bezug auf den Landeplatz gewesen. Die Gewalt seiner Landung trieb ihn durch die Planetenkruste und in die tief verwurzelte Dunkelheit der Grundwasserschicht.

Seine Kapsel pflügte durch Sedimentgestein und kam schließlich dampfend zur Ruhe.

Er sprengte die Explosivverschlüsse und stieg langsam aus. Er befand sich in einer unterirdischen Höhle, die vom Dampf der Thermalquellen erfüllt war.

Er erhob sich und stampfte vorwärts. Jeder Schritt ließ den Boden erzittern. Seine Füße waren massige hydraulische Glieder. Seine künstlichen Sensoren gingen auf die Jagd und empfingen Reflexionen der glänzenden Kalksteinwände der Höhle.

Er machte sich auf die Jagd nach seiner Beute.

Sein Name lautete Karess.

 

Draußen in der Großen West-Obsidae regnete es Landekapseln. Ihre Einschläge wirbelten eine dichte Staubwolke auf. Landungsboote fuhren kurz vor dem Aufsetzen ihre Landestützen aus und gingen ebenfalls nieder.

Die Luke des Landungsboots fiel nach unten, und fünfzig Blutpakt-Soldaten sprangen nach draußen in die kalte Wüste. Durch die Staubwolken konnten sie undeutlich die Terrassen und Türme der Civitas Beati ausmachen.

Der Scharfschütze folgte den Soldaten nach draußen und betrachtete die Stadt. Seine Brüder schwärmten in breit gefächerter Formation aus.

Der Scharfschütze nahm seinen Rucksack ab und stellte ihn auf den staubigen Boden. Er holte die Einzelteile seines Präzisionsgewehrs heraus und setzte sie zusammen. Das Zielrohr verstaute er in der Tasche, um es vor dem Staub zu schützen. Er trug die dunkelrote Uniform des Blutpakts und hatte das eiserne Visier und die Narben in der Handfläche, die seine Zugehörigkeit bewiesen.

Sein Name war Saul. Welche Maßstäbe man auch anlegte, er war gegenwärtig der beste Scharfschütze in den Reihen des Blutpakts. Er legte sich das Gewehr über die Schulter und machte sich auf den Weg in Richtung Stadt.

 

Das Landungsboot wirbelte beim Aufsetzen einen Staubring auf, doch anders als seine Vettern hob es nicht wieder ab. Es verharrte in der Obsidae, während die Triebwerke heruntergefahren wurden, deren Lärm langsam abschwoll.

Sie hatten sich gelangweilt. Der Flug von den Hangarbuchten der Inkarnadine zur Oberfläche hatte nur zwanzig Minuten gedauert, aber sie hatten sich gelangweilt und Hunger bekommen.

Der Kopilot war für ein paar Minuten ein nettes Spielzeug gewesen, aber am Ende hatte er enttäuscht: Herzversagen infolge zu großen Entsetzens, bevor sie dazu gekommen waren, ihn selbst zu töten. Der Pilot selbst war nicht so ein Spielverderber gewesen. Sie hatten ihn festgenagelt und gezwungen, eine sichere Landung auszuführen, während sie ihm bereits mit den Krallen die Kopfhaut abschälten.

Im Augenblick ihrer sicheren Landung hatten sie seinen nackten Schädel geknackt und sein Gehirn verspeist.

Jetzt gab es Arbeit für sie. Das bedeutete, sie mussten zu dieser Massen-Wohneinheit der Menschen in der Ferne gehen. Die Vorstellung war ihnen zuwider, aber Chto, der das Brutkommando hatte, erinnerte die anderen beiden an die Belohnungen, die sie erwarteten. Ihr Gedächtnis war kurz. Nach dieser Auffrischung packte sie die Aufregung.

Die Drillinge verließen das Landungsboot, und ihre nassen grauen Leiber wanden sich gemeinsam auf dem Bauch durch die Obsidae.

Ihre Flechettewerfer waren geladen und entsichert.

 

Er bereitete seinen Raben für eine Landung in einem Ausläufer der Trockenberge vor. Die Civitas schien in weiter Ferne zu liegen.

Skarwael öffnete die Kanzel und stieg aus seinem winzigen Raumschiff. Zwischen ihm und der Stadt gingen Landungsboote und Landekapseln nieder wie ein heftiger Wolkenbruch.

Wenn er nicht rasch anfing, würde bald alles vorbei sein. Und das wollte er nicht.

Das Höllenfeuer konnte den Scharfschützen und den Pater mit seinen Psioniker-Zwergen, den Loxatl-Abschaum und auch die Todesmaschine holen.

Dies war seine Beute. Seine Beute ganz allein. Die Märtyrerin würde ihm gehören, und er würde ihre Schreie wie kostbare Steine tragen.

Schließlich war er ein Mandrak. Nichts in der Schöpfung verstand die Kunst des heimlichen Mordes besser als er.


ACHT

BAE 3

»Wenn Sie der letzte Mann sind, der noch steht, kämpfen Sie nicht hart genug.«

– Kaldenbachs Kommissaren zugeschrieben

 

Mkoll rief: »Runter!« Seine Stimme, selten so durchdringend zu vernehmen, hallte im Kom, und jeder, sogar Gaunt und Rawne, gehorchten.

Nur eine Sekunde sichtbar und einen kurzen, verschwommenen Schatten werfend, raste etwas Hakenflügeliges im Tiefflug durch die Straßen des Hab-Blocks. Einen Moment später fegten Laserschüsse durch die Gebäude zu ihrer Linken.

Die Heuschrecke war gegen den Wind angeflogen, sodass das Heulen ihrer Triebwerke erst im letzten Moment zu vernehmen gewesen war. Gaunt hatte keine Ahnung, wie Mkoll sie ausgemacht hatte.

»Der Stadt-Schild muss schon unten sein«, murmelte Rawne, während er sich erhob. Der Wind wehte Asche und Ziegelstaub aus den Trümmern des Angriffs zu ihnen.

»Nicht unbedingt«, erwiderte Gaunt. »Es ist nur ein Klimaschild. Wenn so ein Bomber seine vorderen Schirme auf volle Leistung stellt …«

Wie um das Argument des Kommissars zu unterstreichen, rasten zwei weitere Heuschrecken hintereinander etwa einen halben Kilometer vor ihnen in Ost-West-Richtung über die Stadt hinweg. Die einsitzigen Angriffsmaschinen, schwarze, in der Sonne glitzernde Leiber, flogen in Höhe der Dächer. Sie zogen hoch und in die Sonne, eine mit einer Rolle. Hinter ihnen breiteten sich Feuerbälle am Boden aus. Die Geister konnten das Donnern und Krachen hören.

Es gab auch andere Geräusche. Das beständige Wumm-Krach von Artilleriegeschützen und Panzerkanonen vom gesamten Nordrand der Stadt. Hin und wieder, wenn der Wind richtig stand, konnten sie in der Ferne das heftige Knattern und Zischen von Gewehrfeuer hören.

Lugo und sein Strategie-Stab hatten die Taktisch-Logistische Zentrale der Civitas übernommen und überwachten die imperialen Bemühungen von den obersten Ebenen der Makropoltürme. Von dort waren sie in der Lage, bemerkenswerte akkurate und aktuelle Einschätzungen der Invasion des Erzfeindes abzugeben. Was von ihnen kam, waren sämtlich Hiobsbotschaften.

Vier Angriffskolonnen hatten sich binnen fünfzig Minuten nach der Landung in den Großen Obsidae im Westen und Norden formiert, die sehr rasch mobil machten und zum nördlichen Stadtrand vorrückten. Eine zielte von Nordwesten auf Glaswerke, zwei direkt südlich nach Eisenhalle und die vierte von Nordosten in den Bezirk Masonae. Die Kolonnen setzten sich größtenteils aus leichten Kampfpanzern und Brigaden von Sturmtrupps aus der ersten Welle der Landekapseln zusammen. Insgesamt annähernd dreihundert Fahrzeuge und achttausend Mann mit Luftunterstützung sowie Artillerie, die in den Obsidaes Stellung bezogen hatte.

Das wäre auch so bereits schlimm genug gewesen. Die Imperialen in der Civitas Beati zählten knapp unter siebzehntausend Mann, die Milizen und Arbites eingerechnet. Aber die Imperialen hatten nur ungefähr hundertachtzig gepanzerte Fahrzeuge, von denen siebzig unbewaffnete Transporter waren. Keine Luftunterstützung. Und nur ein paar leichte Feldartilleriegeschütze des Regiments Civitas Beati.

Diese Ungleichung wurde ein Witz, wenn man den Rest des Bildes berücksichtigte. Draußen in der Landezone, hinter der anfänglichen, sich rasch formierenden feindlichen Speerspitze, versammelte sich eine riesige Streitmacht. Es dauerte seine Zeit, Panzer und Soldaten in ungezählten Wellen von Landungsbooten herunterzuschaffen. Die Speerspitze hatte die Aufgabe, Breschen zu schlagen, und dann würde die Hauptstreitmacht nachrücken, um die Lage zu konsolidieren. Draußen in den Obsidaes, kalkulierte Tak-Log, warteten über eine halbe Million Mann und hunderttausend Kampfmaschinen darauf, die zweite Welle zu beginnen. Und diese Zahlen erhöhten sich mit jeder eintreffenden Welle.

Gut geführt und mit einer Unmenge Glück auf ihrer Seite, so schätzte Gaunt, würde sich der imperiale Widerstand fünf, vielleicht sechs Tage vor der Vernichtung halten können. Mit Lugo am Ruder hatten sie vielleicht zwei. So oder so wartete am Ende der Tod. Die einzige Variable war die Zeit.

Durch Elemente des Regiments Civitas Beati verstärkt, rückten die Geister durch den Bezirk Masonae vor, über den Gaunt den Oberbefehl hatte. Kaldenbach leitete den Widerstand in Eisenhalle, und ein Oberst der Planetaren Streitkräfte Herodors namens Vibreson kommandierte die Linie in Glaswerke. Biagi und ein Offizier der Leibkompanie, Major Landfreed, hielten den größten Teil der restlichen viertausend Mann mitten in der Stadt für kurzfristige Erfordernisse in Reserve. Fünfhundert Mann des Regiments Civitas Beati bewachten das Makropolviertel, hauptsächlich zu dem Zweck, glaubte Gaunt, Lugo in der letzten, unvermeidlichen Phase der Invasion die Zeit zu erkaufen, um per Fähre von den Startplattformen auf den Dachebenen fliehen zu können. Wohin, das wusste nur der Gott-Imperator.

Die Geister und deren Verbündete eilten durch die schmalen Straßen östlich der Beatiplaza. Dieser Bezirk war bis auf die von der feindlichen Luftunterstützung angerichteten Schäden noch unberührt vom Krieg. Die Durchgangsstraßen waren ominöserweise leer. Die Einwohnerschaft war geflohen. Häuser und Geschäfte standen leer, und die Straßen waren voll von weggeworfenen Habseligkeiten.

Während sie von einer Häuserblockecke zur nächsten schlichen und sich dabei gegenseitig Deckung gaben, überlegte Gaunt, dass sie trotz allem in gewisser Hinsicht Glück gehabt hatten. Nun, da die feindlichen Kriegsschiffe den Raum rings um Herodor beherrschten, hätten sie den Krieg rasch mit einem Bombardement aus der Luft beenden können. Stattdessen hatte sich der Feind zu einem mit gewaltigen Kosten und Mühen verbundenen Bodenangriff entschlossen. Er wusste, was das bedeutete.

Sie wollten die Beati.

So schlecht geschützt und verteidigt sie auch sein mochte, die Civitas Beati war riesig, und sie Straße für Straße zu nehmen würde für jede Armee eine blutige und schmerzhafte Erfahrung werden. Der Erzfeind unternahm diese Anstrengung nur wegen der lockenden Beute. Tatsächlich war der Erzfeind überhaupt nur wegen dieser Beute nach Herodor gekommen. Der feindliche Oberbefehlshaber wollte die Heilige. Zumindest einen Leichnam … aber eine Gefangene, das wäre die größte Trophäe überhaupt. Also kam eine Auslöschung durch ein Bombardement aus der Umlaufbahn nicht infrage. Danach würde kein greifbarer Beweis der Anwesenheit der Beati mehr übrig sein.

Alles drehte sich um Sabbat. Alles, was sie taten, alles, was der Feind tat. Es drehte sich nur um Sabbat.

Tak-Log knisterte in Gaunts Ohr. Kaldenbachs Einheiten hatten Feindberührung.

Gaunt wollte dies gerade seinen Offizieren mitteilen, als Mkoll wieder ein Signal über Kom gab.

»Kontakt!«

 

Anfänglich ohne auf Widerstand zu stoßen, rollten die Angreifer in das nordwestliche Randgebiet von Masonae ein. Im Westen zeigten Rauchsäulen und Blitze oberhalb der Dächer an, dass die anderen Kolonnen durch Eisenhalle vorstießen.

Blutpakt-Phalangen bildeten die Spitze, unterstützt durch Schleichpanzer, leichte STeG 4 und Kampfpanzer des Typs AT70-Räuber. Sie kamen ungehindert voran. Zwei AT70 lösten sich kurz, um den Gebetsverstärker Gorgonaut durch Kurzstreckenbeschuss zu zerstören, und drei Schleichpanzer halfen Pionieren des Blutpakts dabei, die altehrwürdigen Bögen des Simeon-Aquädukts zu sprengen. Wasser, das kostbare Lebensblut der Stadt, sprudelte aus dem zerstörten Aquädukt und überflutete mehrere tief gelegene Straßenzüge. Sturzbomberangriffe von Heuschrecken hatten bereits die Agroponische Kuppel Nordende zerstört. Von dem brennenden Getreide stieg gelblich-grauer Rauch durch das geborstene Kuppeldach in den Himmel auf.

Ohne eine Spur von den berühmten Imperiumstruppen zu sehen, überquerte der Feind die Brigatstraße nach Berg Actes und schwärmte in den Bezirk Masonae aus.

Die Soldaten, die vor den Panzern marschierten, sangen. Das Lied verursachte Mkoll Magenkrämpfe.

»Wenigstens das müssen wir unterbinden«, murmelte er. Er zielte.

»Flieg!«

Mkoll drückte auf den Abzug des Werfers, und eine Panzerabwehrrakete zischte die Straße entlang und schaltete den dritten STeG 4 in der anrollenden Reihe aus.

Der AT70 dahinter beschleunigte und schoss mit seiner Koaxialkanone, war aber durch den schwarzen Rauch geblendet, der von dem abgeschossenen STeG aufstieg.

Die beiden STeGs neben dem abgeschossenen rollten auf ihren schweren, soliden Rädern vorwärts, und ihre kompakten Geschütztürme drehten sich, während sie nach dem Ausgangspunkt des Hinterhalts suchten. Die Blutpakt-Soldaten hörten auf zu singen und rannten in jede sich bietende Deckung.

Sie kamen nicht weit. Surch und Loell waren auf der Westseite der Straße postiert und Melyr und Caill auf der Ostseite. Die beiden Kaliber-50-Kanonen hatten ein freies, ineinander übergehendes Schussfeld und nahmen die auseinander laufenden Feindsoldaten gnadenlos aufs Korn. Rot gerüstete Leichen fielen, wurden herumgeworfen, flogen auseinander.

Die beiden STeGs in vorderster Front schwenkten herum und nahmen die Häuserfassaden am Straßenrand unter Beschuss, sodass Fenster und Mörtel weggesprengt wurden. In wenigen Sekunden würden sie sich auf die Stellungen der beiden Kanonen eingeschossen haben.

Aber sie hatten auch nicht mehr wenige Sekunden.

Caffrans Kettenschredder bockte und krachte, und eine rauchende Rakete raste aus seiner Stellung in einer der oberen Etagen abwärts und sprengte einen der STeGs auseinander.

»Flieg!«, wiederholte Mkoll, nachdem Harjeon nachgeladen hatte. Er traf das Magazin des verbliebenen STeG. Die Druckwelle der Explosion brachte die Fassade des nächsten Hauses zum Einsturz.

Der AT70 ruckte vorwärts und knirschte über die brennenden Trümmer des ersten Abschusses weg. Dabei feuerte er sein Hauptgeschütz ab. Der Knall war laut und beeindruckend, aber der Schuss war verfrüht, und die Granate raste jaulend ins leere Ende der Straße.

Caffran jagte seine zweite Rakete in die Backbordkette des großen roten Panzers und beschädigte sie schwer. Der Panzer ruckte herum, und zerfetzte Radhalterungen kreischten schrill über den Straßenbelag.

Geister glitten aus ihrer Deckung und sprangen auf den Panzer: Bonin, Domor und Dremmond. Bonin sprengte die obere Luke mit einer Granate auf und überließ Dremmond den Rest. Zu seiner Freude wieder mit seinem Flammenwerfer vereint, hielt Dremmond die Schlauchmündung nach unten in das rauchende Einstiegsluk und räucherte das Innere mit brennendem Prometheum aus.

Bonin sprang ab, griff nach der drehbar angebrachten Sekundärwaffe des Panzers – einer Zwillingsboltkanone – und drehte sie herum, sodass sie in die Richtung zeigte, woher der Feind gekommen war. Er eröffnete das Feuer auf die nachrückende Blutpakt-Infanterie, die sich des Hinterhalts annehmen wollte.

»Tauchen oder tanzen, ihr habt die Wahl«, grinste er grimmig, während die schwere Waffe in seinen Händen zitterte und bebte.

»Das reicht! Schluss und ab!«, befahl Mkoll über Kom.

Bonin, Domor und Dremmond sprangen vom Panzer ab und tauchten in den Seitengassen der Straße unter. Gleichzeitig bauten die Geschützmannschaften ihre Kaliber-50-Kanonen ab und verließen eiligst ihre Stellungen.

Der mittlerweile etwas zaghafter vorrückende Blutpakt erreichte den abgeschossenen AT70. Sie stießen nicht auf den geringsten feindlichen Widerstand.

Dafür stießen sie auf drei Stabgranaten, die am Granatmagazin des AT70 angebracht waren, ein Begrüßungsgeschenk von Shoggy Domor.

 

Drei Straßen weiter wurde der führende Schleichpanzer von zwei Kettenschredder-Raketen gleichzeitig getroffen. In einen grellen Feuerball gehüllt schwang er herum, und einige seiner Beine traten schlaff aus wie die Arme eines Karussells. Ein Bein löste sich gänzlich, flog davon und krachte durch die Front einer Habitatseinheit.

Davon unbeeindruckt, huschten die beiden Schleichpanzer dahinter mit flammenden Bordkanonen über die brennenden Trümmer vorwärts, und jeder wurde mit einer Rakete begrüßt, die ihren Rumpf in Stücke riss. Einer fiel in sich zusammen, der andere blieb auf den toten, erstarrten Beinen, während der eigentliche Rumpf in Flammen stand.

»So wird’s gemacht«, grinste Corbec, als er seinen leeren Raketenwerfer herunternahm. Er befand sich auf dem niedrigen Dach eines Habitats hinter der Brüstung. Varls Trupp lief in Einerreihe an der Häuserwand unter ihm entlang und schoss auf die überraschten Blutpakt-Soldaten, die sich plötzlich ihrer Panzerunterstützung beraubt sahen.

Brostins Flammenwerfer zischte. Corbec hörte den Feind schreien.

 

»Jetzt!«, befahl Meryn mit versteinerter Miene.

Guheen zog am Stolperdraht, und die Sprengladungen, die Trupp vierzehn auf der Straße angebracht hatte, explodierten in Geysiren aus Feuer und Straßenbelag. Der AT70, dessen Ketten vollkommen zerfetzt waren, kippte beinahe um. Er landete hart auf der Nase, wobei sich die lange Geschützmündung in den Straßenbelag bohrte, bevor er sich wieder aufrichtete.

Er machte den Fehler zu schießen. Durch den Aufprall war der Lauf entweder deformiert oder verstopft worden. Wie auch immer, die hochexplosive Granate blieb stecken und entfaltete ihre Sprengwirkung mit solcher Wucht nach hinten, dass der hintere Teil des Geschützturms wie eine platzende Papiertüte weggepustet wurde.

Blutpakt-Infanterie schwärmte um das brennende Ungetüm heran und fing an zu schießen. Einer, ein Offizier, hatte einen Raketenwerfer auf der Schulter, und er ließ sich auf ein Knie sinken und zielte damit auf die Ladenfront, hinter der Meryn und Guheen in Deckung lagen.

Er kam nicht mehr dazu, sie abzufeuern. Jedenfalls nicht lebend. Ein Schuss aus Nessa Bourahs Präzisionsgewehr, die auf einem Dach nicht weit entfernt lag, traf ihn in den Hals. Er kippte zur Seite, und seine tote Hand verkrampfte sich um den Abzug.

Die Rakete jaulte Funken und weiße Flammen sprühend über den Boden davon. Einem Blutpakt-Soldaten gelang es tatsächlich, sie zu überspringen. Er starb einen Sekundenbruchteil später zusammen mit dem anderen Dutzend rings um ihn, als die Rakete gegen den Bordstein prallte und explodierte.

 

Die Truppen des Erzfeindes, die in die Masonae eindrangen, erkannten plötzlich, dass ihnen doch ein Kampf bevorstand. Nunmehr entschlossen, stießen sie weiter vor.

Auf der Latinatestraße, einer schmalen, pittoresken Straße mit Schneidereien und Lederwarengeschäften, begegneten die drei Trupps von Daur, Raglon und Ewler gemeinsam dem Ansturm des Blutpakts. Eine wilde Schießerei begann.

Nicht weit entfernt hielt Arcudas Trupp – dreiundzwanzig – einen Flankenvorstoß von weiteren fünf Geschützmannschaften des Blutpakts auf. Criid zog ihren Trupp aus Meryns Stellung zurück und vereinigte sich mit Currals, Hallers und Rasks an der Kreuzung Toboriostraße und Steinmetzweg, wo sich ein heftiges, brutales Infanteriegefecht entwickelte.

Grell und Theiss hetzten ihre Trupps durch die Lanxlynstraße und Prinzipal III entlang und ließen zwei rauchende STeGs und einen Schleichpanzer zurück, bevor sie dem Infanterieansturm frontal begegneten.

Auf der Himmelsallee war Sorics Trupp von zwei Schleichpanzern festgenagelt worden, die einfach nicht verschwinden wollten. Sie duckten sich vor den Laserstrahlen, Gesteinssplittern und Trümmern, die ihnen um die Ohren flogen.

»Gak!«, hustete Soric. »Gak und noch mal Gak!«

»Wir brauchen Feuerunterstützung! Wir brauchen sofort Feuerunterstützung!«, fauchte der nicht weit entfernt kniende Kommissar Hark in sein Kom. »Feuerunterstützung bei Koordinaten zwo-sechs, fünf-neun! Antwortet!«

»Bitten Sie’s um Hilfe, Chef!«, überschrie Vivvo den Lärm. »Um Gaks willen!«

»Was soll ich bitten?«, erwiderte Soric, während er den Kopf noch tiefer herunternahm.

»Das Ding in Ihrer Tasche!«, bellte Vivvo.

»Das was?«

»Das Ding, Chef! Das Ding, das Bescheid weiß!«

»Was für ein Ding?«, fragte Hark, der sich zu ihnen umdrehte.

»Der Junge macht nur einen Scherz«, sagte Soric.

»Soldat Vivvo?«

»Ich … ich hab nur einen Scherz gemacht, Herr Kommissar …«, stammelte Vivvo, dem die Implikationen seiner Worte aufgingen. Vor allem anderen war er Soric treu ergeben.

Eine weitere Salve ging auf sie nieder.

Soric lief geduckt los. Sobald er hinter einem Türrahmen und außer Sicht von Hark war, fischte er den Messingzylinder aus der Tasche und öffnete ihn.

Kazel hat den richtigen Winkel, kann aber nichts sehen. Sag ihm, er soll aus dem Fenster schießen. Er weiß dann schon Bescheid.

Was ist mit dem Rest, Agun? Sie wird sterben, und dann klebt ihr Blut an deinen Händen.

»Halt die Klappe!«, brüllte Soric laut und zerriss das Papier in kleine Fetzen. Er schaltete sein Helmkom ein.

»Kazel? Schießen Sie durch das Fenster. Schießen Sie durch das Fenster.«

»Chef?«

»Schießen Sie durch das verdammte Fenster, Kazel!«

Oben, in einem Raum in der dritten Etage, drehte Kazel sich um und schoss mit seinem Kettenschredder durch das Fenster. Es war eine hastige, automatische Reaktion auf Sorics Befehl. Der Rückstoß tötete ihn in dem beengten Raum beinah.

Die Rakete raste aus dem Fenster, streifte einen Laternenpfahl, der sie ablenkte, fiel steil nach unten und flog durch die Dachluke in einen der Schleichpanzer.

Im Todeskampf zerstörte er seinen Partner mit wahllosen, ungezielten Feuerstößen aus allen Waffen.

»Scheiße …«, sagte Kazel, als er mit immer noch klingelnden Ohren aus dem Fenster starrte. »War ich das?«

 

Je mehr seine Geister in Kämpfe verwickelt wurden, desto höher stieg Biagi in seiner Achtung. Biagi hatte BAE 3 verfasst – Bodenangriffserwiderung 3 –, und sie war Gold wert. Anstatt Zeit mit dem Versuch zu vergeuden, ungeeignete Straßen in den Außenbezirken zu verteidigen, hatte Biagis Plan die verschiedenen Kreuzungen und Abzweigungen identifiziert und beschrieben, wo Hinterhalte und Abwehraktionen am effektivsten funktionieren würden. Er war insofern pragmatisch, als er dem angreifenden Feind Raum zugestand, bis die Umgebung der Verteidigung einen Vorteil einräumte, aber er war gründlich. Biagi hatte jede Straße analysiert – nicht per Datentafel, sondern mit eigenen Augen, durch methodische Observation – und ihre Stärken und Schwächen herausgearbeitet. Er hatte die Stadt sehr gut gelesen. Die anfänglichen Erfolge der Geister waren ebenso sehr auf Biagis taktische Informationen wie auf tanithisches Kampfgeschick zurückzuführen.

Gaunt hatte BAE 3 auf einer Datentafel bei sich, verschlüsselt für den Fall, dass sie in feindliche Hände fiel. Jedes Mal, wenn er darin las und dann die Aufstellung seiner Truppen änderte, bewunderte er Biagis Werk. Er bedauerte die Tatsache, dass es bei seiner nächsten Begegnung mit dem Marschall zweifellos zu einem Zusammenstoß kommen würde. Er war unvermeidlich.

Biagi wusste noch nicht, dass Gaunt Flammenwerfer einsetzte.

Selbst mit BAE 3 war es ein Kampf auf Biegen und Brechen. Die Schlacht um Masonae konzentrierte sich mittlerweile auf die Latinatestraße und den Steinmetzweg mit kleineren Scharmützeln entlang Prinzipal III und rings um die Anlage zur Atmosphärenerzeugung auf dem Teskhügelplatz.

Gaunt winkte Beltayn herüber und klemmte sich ans Kom. Er ließ Daurs Trupp und drei Abteilungen der Planetaren Streitkräfte über Prinzipal III zu einer kleineren Zufahrt vorrücken, die von Osten in den Steinmetzweg mündete. Binnen fünfzehn Minuten fielen Daurs Truppen dem im Steinmetzweg kämpfenden Feind in die Seite.

Gaunts auf Jahren der Erfahrung beruhende Methode zur Ausnutzung von BAE 3 bestand darin, mit seinen Truppen immer in engem Kontakt zu den führenden Einheiten des feindlichen Vorstoßes zu bleiben. Die angreifende Streitmacht war wie ein Arm, der blind um ein Hindernis herumtastete. Jedes Mal, wenn er das tat, packten ihn die Geister bei den Fingern und trennten die Hand ab. Diese Taktik machte auch die Luftunterstützung wirkungslos. Die Piloten der Heuschrecken konnten in dem Gewirr der schmalen Straßen nicht einmal im Tiefflug und mit Hilfe von Rauchbomben und Identifikationssignalen zwischen Freund und Feind unterscheiden.

Kurz vor dem Mittag, als der feindliche Vormarsch auf einer Breite von neun Häuserblocks ins Stocken geriet, zog sich der Feind abrupt zurück und versuchte es über Prinzipal III. Diese neue Phase wurde durch einen Panzerangriff eingeleitet – neun AT70 und vier Schleichpanzer rückten hinter zwei Giganten vom Typ AT83-Brigant vor. Corbec und Domor hatten ihre Trupps in einer Seitenstraße abseits der Schnellstraße in Deckung liegen und hörten die hoch drehenden Turbinen und scheppernden Ketten vor allen anderen.

»Ketten! Ketten! Auf der Schnellstraße!«, gab Corbec mit höchster Dringlichkeit über Kom durch. Die Geister mussten in Deckung bleiben. Bei ihrer Vorbeifahrt bestrichen die Panzerfahrzeuge die Häuserfronten rechts und links der breiten Allee mit ihren Koaxialkanonen. Gaunt hatte diesen Vorstoß kommen sehen. Domors Trupp hatte den Prinzipal bereits mit Sprengladungen vermint, deren Explosion einen AT70 zerstörte und den gesamten Vormarsch erheblich aufhielt, da die AT83 ihre Räumschaufeln senken und den Weg freimachen mussten.

Die Verlangsamung reichte Gaunt. Sein nächstes Signal ließ drei Bezwinger der Leibkompanie aus ihrer Deckung zwischen den Lagerhäusern am Steinmetzweg hervorbrechen. Der Wilde, Fordern Durch Drohungen und Zugang Verweigert, alle drei Leman Russ Kampfpanzer nach Greif-IV-Muster mit den charakteristischen langen Kanonenläufen.

Die vorrückenden drei Imperiumspanzer kamen gleich zur Sache, und ihre ersten drei oder vier Salven verwandelten den wohlgeordneten Vorstoß des Blutpakts in ein blutiges Chaos. Der Wilde beschädigte einen der großen AT83 mit seinem ersten Schuss und zerstörte ihn mit seinem zweiten. Die AT83-Briganten, die größer waren als ihre primitiveren Vettern, die AT70, waren auf dem Papier das auf der Waffenschmiede Urdeshi hergestellte Äquivalent der Leman Russ. Sie verfügten über ein Auspex-Leitsystem, Waffenstabilisatoren und ein auf Torsionsstäben beruhendes Aufhängungssystem. Sie waren die besten Kampfpanzer des Blutpakts, wenn man von den wenigen uralten Superschweren Riesen absah, die sie von besiegten Garde-Einheiten übernommen hatten.

Aber der Leman Russ hatte so etwas an sich. Sein Stammbaum und seine Reputation suchten ihresgleichen. Wenn ein Bezwinger oder Eroberer auftauchte, erfüllte ihr bloßer Anblick jedes imperiale Herz mit Stolz und jedes feindliche Herz mit Furcht. Dies, überlegte Corbec, während er die Schlacht aus einem geschützten Hauseingang beobachtete, schien auch jetzt der Fall zu sein. Offenbar vom Anblick der drei in Formation anrollenden Bezwinger beeindruckt, setzte der verbliebene AT83 abrupt zurück. So abrupt, dass er dabei einen Schleichpanzer überrollte und dessen vergleichsweise leichten Rumpf zermalmte.

Ein AT70 explodierte unter dem Beschuss von Fordern Durch Drohungen, und Der Wilde verwandelte zwei weitere in Schrotthaufen. Einer der Schleichpanzer trottete vor und an der brennenden Ruine des ersten Brigant vorbei. Seine Metallhufe schlugen Furchen in den Straßenbelag, und er richtete seine Waffen auf Zugang Verweigert. Zwei Doppelpulslaser flackerten und knisterten, und auf Turm und oberem Rumpf von Zugang Verweigert erblühten Explosionsblitze. Zugang Verweigert schien nichts davon zu spüren, denn er rollte vor, während Rauch von brennenden Panzerplatten und versengter Farbe aufstieg, und schoss eine einzige Granate ab, die den mittleren Rumpfteil des Schleichpanzers so vollständig auflöste, dass die Gliederstrukturen auf den beiden Seiten nach außen wegkippten.

Ein AT70 schoss auf Der Wilde, und die Granate riss den Radkasten und einen Teil des Kettenschutzes ab. Ein anderer erzielte einen Turmtreffer bei Fordern Durch Drohungen, der den Kom-Mast, die Koaxialkanone und den Entfernungsmesser zerstörte und den zweiten Kanonier durch Splittereinwirkung tötete.

Verwundet, aber noch nicht kampfunfähig, rollte Fordern Durch Drohungen weiter vorwärts und richtete sein Geschütz auf den verantwortlichen Räuber. Corbec sah, wie sich das Turmluk öffnete und der Oberkörper des Kommandanten darin auftauchte. Blind und taub für die Gefahr, maß er die Entfernung nun mit einem Handgerät, da sein Entfernungsmesser ausgefallen war.

Er verstand sein Geschäft. Fordern Durch Drohungen hielt an und ruckte, da er schoss. Die Erschütterung wirbelte Wolken aus angesammeltem weißen Staub aus allen Furchen in seiner Karosserie wie gesiebtes Mehl. Im Flug verursachte die panzerbrechende Granate nur einen scharfen, durchdringenden Knall. Das anschließende Geräusch der Explosion des AT70 war weitaus voller und befriedigender.

»Herr Oberst!« Corbec wandte den Blick von der Vorstellung, die die drei Panzer der Leibkompanie ablieferten, und sah Domor an.

»Was ist los, Shoggy?«

Domor zeigte über die Straße in die überschatteten Gassen, die durch die Habitate zur Schnellstraße führten. Corbec erspähte Bewegung hinter der Fahrbahnböschung.

Feindliche Infanterie. Die im Schutz der Panzerschlacht ausschwärmte.

Nein, mehr als das. Er konnte auch zwei oder vielleicht drei Geschützmannschaften dort drüben ausmachen, die Werferrohre und langstielige Raketen schleppten.

Sie wollten die Bezwinger aufs Korn nehmen, solange die Imperiumspanzer noch beschäftigt waren.

»Scharfe Augen, Shoggy«, rief Corbec und stellte damit das Offensichtliche fest. »Fünf Mann … zu mir!«, fügte er hinzu, wobei ihm egal war, wer darauf reagierte, aber genau wusste, dass es mindestens fünf tun würden. Milo, Nehn, Bonin, Chiria und Guthrie waren als Erste auf den Beinen und eilten geduckt hinter ihm her.

Corbec folgte dem Beispiel des Feindes und hielt sich im Schutz der hohen Böschung der Schnellstraße, während er ihr ein Stück zurück folgte. Fünfzig Meter südlich des rumpelnden Hinterteils von Der Wilde hielt er inne, warf sich zu Boden und schaltete sein Kom ein.

»Shoggy, hier ist Zwo, melden.«

»Zwo, klar.«

»Wir laufen gleich rüber, Kumpel. Wir zählen bis fünf …«

»Über die Schnellstraße, Chef?«

»Man unterbricht niemanden, der gerade einen selbstmörderischen Drang verspürt, Shogs. Ich zähle bis fünf. Fassen Sie Ihre und den Rest von meiner Einheit zusammen und beharken Sie die andere Seite. Sie brauchen nichts zu treffen, Sie sollen nur dafür sorgen, dass sie die Köpfe unten behalten.«

»Verstanden ist nicht ganz das richtige Wort, aber gut.«

»Schön. Also: Fünf, vier, drei, zwei …«

Die rasch zusammengetrommelten Gewehre der Trupps zwei und zwölf schossen über die breite, sonnenbeschienene Straße vor den imperialen Panzern. Die Laserstrahlen und die Kugeln aus den Kaliber-50-Kanonen schlugen in die Böschung, bis sie wie wachsweicher Käse an der Oberfläche eines besonders unglücklichen Mondes aussah.

Corbec fing an zu laufen. Die anderen folgten ihm, Milo und Bonin überholten ihn sogar. Sie kamen auf der anderen Seite an, schmiegten sich mit dem Rücken an die Außenseite der Böschung und warteten.

Corbec prüfte den Ladezustand seines Magazins und zwinkerte den anderen zu. »Wollt ihr ewig leben?«, fragte er.

Alle nickten. Milo lachte.

»Dann folgt mir.«

Eine Sekunde später tauchten sie durch die nahe Lücke in der Böschung und in die kühlen Schatten des Fußwegs jenseits der Böschung.

Die nächste Geschützmannschaft des Blutpakts kauerte am Boden und lud ihre Panzerabwehrkanone mit einer Granate. Sie schauten überrascht hoch.

Zu mehr blieb ihnen keine Zeit. Die sechs imperialen Lasergewehre töteten sie so schnell, dass sie sich nicht einmal mehr erheben konnten. Kauernde und hockende Gestalten sanken zu Boden.

Zehn Meter hinter ihnen hatte die zweite Geschützmannschaft Zeit zu reagieren. Laserstrahlen zuckten in die Richtung der Geister, und Guthrie ging mit einem gestöhnten Fluch zu Boden.

Milo und Chiria hatten auf Dauerfeuer geschaltet und widmeten sich dem neuen Gegner. Milo traf den Werferschützen in den Hals und dessen Lader in Hand, Schulter und Gesicht. Chiria jubelte, als sie den Blutpakt-Soldaten tötete, der Guthrie getroffen hatte, und gleich darauf den Mann neben ihm erledigte.

Die anderen beiden rannten Hals über Kopf in Deckung. Nehn gab einen Schuss ab, der einen in den Hinterkopf traf und zu Boden schleuderte. Bonin erwischte den anderen.

Corbec kniete bereits neben Guthrie.

»Bist du noch bei mir, mein Junge?«

»Ja … ja … Feth, es tut weh!«

Ein Laserstrahl hatte Guthries linken Oberschenkel durchbohrt. Der Strahl hatte die Wunde kauterisiert, aber er hatte einen ordentlichen Teil des Muskels verloren, und der Durchschuss war so glatt, dass man hindurchschauen konnte.

Corbec holte seine Feldverbände heraus und fing an, Guthries Bein zu verbinden, doch zuerst verpasste er ihm mit einer Einwegspritze eine Ampulle Morphia intramuskulär oberhalb der Hüfte.

»Herr Oberst!«, hörte Corbec Milo rufen.

Er fuhr herum. Ein Laserstrahl. Mit voller Geschwindigkeit strich er so dicht an seinem Gesicht vorbei, dass er die sengende Hitze spürte. Er roch die Ozonschicht, die ihn umgab.

Hätte er sich bei Milos Warnung nicht umgedreht, hätte der Strahl ihn direkt zwischen Ohr und Auge getroffen. Der Schuss prallte gegen die Böschung, ohne Schaden anzurichten.

»Leck mich …«, hauchte Corbec.

Es gab noch eine dritte Geschützmannschaft des Blutpakts, und die war beim Angriff auf die ersten beiden in Deckung gegangen.

Sie hatten den entschiedenen Vorteil anständiger Deckung. Es waren sechs, den Mündungsblitzen in den überschatteten Hauseingängen entlang des Fußwegs nach zu urteilen. Laserstrahlen schlugen rings um die festgenagelten Imperialen in Böschung und Boden. Chiria stieß Nehn zu Boden und rettete ihm damit wahrscheinlich das Leben. Bonin erwiderte das Feuer aus der Hüfte. Milo schnappte sich Guthrie und zerrte ihn zur nächsten Deckung … die zehn Meter entfernt war.

Corbec wusste, dass sie alle in wenigen Sekunden tot sein würden.

Er hob den am Boden liegenden Werfer des Blutpakts auf, wirbelte ihn wie einen Stab herum und auf seine Schulter, richtete ihn auf die Hauseingänge und brüllte: »Flieg!«

Automatisch riefen Nehn, Chiria, Bonin, Milo und sogar Guthrie dasselbe Wort. Der in Fleisch und Blut übergegangene Drill hatte den Zweck, dass ihre Münder offen standen, wenn die Rakete abgeschossen wurde, und das Trommelfell infolge des starken Druckunterschieds nicht platzen konnte.

Die Panzerabwehrrakete raste den Gehweg entlang so dicht über Bonin hinweg, dass sie den Stoff seiner Uniformjacke auf dem Rücken versengte. Zehn Meter weiter verschwand sie in der Öffnung eines Hauseingangs und explodierte. Der Blitz war blendend und die Erschütterung brutal. Steinsplitter und Fetzen feindlicher Soldaten wurden von der Feuerwalze nach draußen gefegt und prallten gegen die Böschung der Schnellstraße.

Ein überlebender Blutpakt-Soldat, den die Explosion nur gestreift hatte, taumelte auf den Gehweg und riss sich schreiend den Helm und das Eisenvisier ab. Die Druckwelle hatte Bonin zu Boden geschleudert, doch Milo war bereits wieder auf den Beinen und legte auf den Feind an.

Er sah das nackte Gesicht des gequälten verwundeten Blutpakt-Soldaten. Haarlos, bleich, Ohrläppchen und Brauen durch zahlreiche Piercings entstellt, das Gesicht von oben bis unten mit dicken Falten wulstigen Gewebes vernarbt. Dafür war nicht die Explosion verantwortlich. Die grässlichen Initiationsriten des Blutpakts hatten diese beängstigenden lebenslangen Narben verursacht.

»Feth!«, keuchte Milo und schoss. Die Gestalt in der roten Rüstung fuhr zusammen und fiel zu Boden. Das Geschrei verstummte.

»Herr Oberst?«, rief Chiria ängstlich, nachdem sie sich aufgerappelt und Nehn ebenfalls hochgezogen hatte.

Corbec lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Gehweg. Sein spontaner Plan hatte ein wesentliches Detail unberücksichtigt gelassen. Er hatte bei seinem Schuss direkt vor der Böschung gestanden, und die Abgase der startenden Rakete hatten keinen Abzug gehabt. Der Luftdruck hatte Corbec wie ein Hammerschlag fünf Meter weit durch die Luft geschleudert. Er hatte den Einsatz des Kettenschredders noch mehr vermasselt als Kazel ein paar Stunden zuvor.

»Colm? Colin!«, rief Bonin, der zu ihm lief.

Ramponiert und zerschunden wälzte sich Corbec kichernd auf den Rücken.

»Das wird mich lehren, noch mal spontan zu sein«, gluckste er.

Auf der anderen Seite der Böschung ertönte eine laute Explosion. Corbec ließ Nehn zurück, um Guthrie zu verbinden, und eilte mit Milo, Bonin und Chiria zur nächsten Lücke in der Böschung.

Der Bezwinger Der Wilde war erledigt. Es ließ sich nicht mehr erkennen, wie es dazu gekommen war. Die verbliebenen Räuber und der AT83 fuhren rückwärts den Prinzipal entlang, und die Schleichpanzer folgten ihnen.

Durch den Anblick eines brennenden Leman Russ aufgemuntert, schaltete der Brigant wieder in den Vorwärtsgang und gab einen Schuss auf Zugang Verweigert ab, der dessen Bugpanzerung verbeulte. Mittlerweile war die Straße an Dutzenden von Stellen mit tiefen Granattrichtern übersät.

»Zur Hölle damit«, verkündete der immer noch etwas benommene Corbec. »Sehen wir zu, dass wir dieses Ding laden.« Er hatte den Raketenwerfer des Blutpakts wieder aufgehoben.

»Nun macht schon, ich weiß jetzt, wie das verdammte Ding funktioniert …«

Chiria lief zum am Boden liegenden Tornister mit den Raketen und kam mit einer zurück. Nach kurzer Beratung fanden die Vier heraus, wie sie die Rakete einschieben, arretieren und scharf machen und den Werfer schussbereit machen mussten.

Diesmal vergewisserte sich Corbec, dass er reichlich Luft hinter sich hatte. »Ihr tretet besser zurück«, sagte er zu ihnen. »Ich habe gehört, das soll bei diesen Dingern ziemlich schlau sein.«

Bonin, Milo und Chiria zogen sich ein paar Schritte zurück. Trotz der Anspannung des Augenblicks konnten sie sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Corbec ließ sich auf ein Knie nieder und ließ das Gewicht des mündungslastigen Werfers auf seiner rechten Schulter ruhen. Gezielt wurde durch einen Metallkreis mit einem Fadenkreuz aus Draht darin. Das richtete er auf die Nahtstelle zwischen Turm und Rumpf des AT83, dann senkte er den Werfer ein wenig: Kürzliche Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass die Werfer des Blutpakts wild aufwärts ruckten, wenn sie abgefeuert wurden.

»Flieg!«

Die Rakete zischte über die Schnellstraße und traf die seitliche Turmpanzerung des AT83. Der Panzer erbebte, aber die Rakete hatte ansonsten keine durchschlagende Wirkung. Das Geschützrohr des AT83 drehte sich rapide in Corbecs Richtung.

»Nicht gut …«, räumte Corbec ein und fing an zu laufen.

Aber die Ablenkung hatte Fordern die Zeit für einen anständigen Schuss auf den AT83 gegeben. Fordern schoss und trennte mit seiner Granate den Turm mit der Präzision einer Guillotine vom Kopf.

Zugang und Fordern behaupteten jetzt ihre Position auf der mit Kratern übersäten Schnellstraße und deckten die sich nun rasch zurückziehenden Räuber und Schleichpanzer mit Granaten ein. Eine Wolke aus Abgasen und Fyzelendämpfen hing über der Gegend.

»Eins, hier ist Zwo«, sendete Corbec über Kom.

»Zwo, bitte kommen.«

»Der Angriff hier ist vorbei, Boss. Wir haben sie zurückgeschlagen, und …«

Corbec brach ab.

»Wiederholen, Zwo. Wiederholen, Zwo. Sendung unterbrochen.«

»Ibram? Corbec, ich bin noch da. Vergessen Sie, was ich gerade gesagt habe. Die Schweine machen gerade Ernst.«

Die zurücksetzenden Feindpanzer, die sich mittlerweile zweihundert Meter weit auf Prinzipal III entfernt hatten, wichen an die Ränder der Schnellstraße aus, um etwas passieren zu lassen. Dieses Etwas kam ungeheuer schnell näher, viel zu schnell, so schien es, für etwas so Gewaltiges.

Zugang Verweigert und Fordern Durch Drohungen legten eiligst den Rückwärtsgang ein und traten den Rückzug an. Der Einschlag einer gewaltigen Granate riss Fordern auf katastrophale Art auseinander und verspritzte auf der Druckwelle eines expandierenden Feuerballs Panzerungsteile in alle Richtungen.

Über die Schnellstraße näherte sich ihnen ein Superschwerer Kampfpanzer vom Typ Todesklinge. Seine sämtlichen dreihundertsechzehn Tonnen waren blutrot lackiert, sogar die Räder und Ketten, und der gesamte massive Rumpf war mit widerlichen Symbolen beschriftet.

Corbec ließ den feindlichen Werfer fallen. Er nützte jetzt nichts mehr. Dies war Feth in einem ganz anderen Maßstab.

»Ach du Scheiße«, ächzte Corbec.

 

Abseits der Latinatestraße sank Soric japsend auf die Knie. Er verfluchte sich, weil er zu alt für diesen Gak war, aber das änderte nichts an seinem Herzklopfen und an der in seinen Beinmuskeln brennenden Milchsäure.

Sie hatten fliehen müssen. Sein Trupp und Criids, Raglons und Meryns. Das Infanteriegefecht war abrupt auf den Kopf gestellt worden, gerade als sie geglaubt hatten, Fortschritte zu machen.

Ein paar Räuber und mindestens drei N20-Halbkettenfahrzeuge mit Flammenwerfern auf der Geschützplattform hatten in den Straßenkampf eingegriffen und die Imperialen zurückgedrängt. Ein Trupp der Planetaren Streitkräfte Herodors hatte einen Gegenangriff versucht und war zum Dank für seine Bemühungen gekocht und gebraten worden.

Die Flucht war die einzig sinnvolle Option gewesen.

Soric hatte versucht, Gaunt und Tak-Log zu erreichen, um Panzerunterstützung anzufordern, aber die von den Flammenwerfern auf den feindlichen Halbkettenfahrzeugen erzeugten Feuerwälle schienen die Verbindung zu stören.

Er kroch in einen Hauseingang und schnappte nach Luft. Männer rannten vorbei. Vivvo kam angelaufen und warf sich keuchend neben ihm zu Boden.

»Alles in Ordnung, Sohn?«, fragte Soric.

»Es tut mir Leid, Chef«, erwiderte Vivvo.

»Leid? Was denn?«

»Dass ich diese … diese Sache erwähnt habe. Einfach so, vor dem Kommissar.«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Sohn. Ich kann auf mich aufpassen.«

»Ich hätte nachdenken sollen, Chef. Mir hätte klar sein müssen, dass der Kommissar dabei ist.«

Soric zuckte die Achseln. »Vivvo … kann ich Sie was fragen?«

»N-natürlich, Chef!«

»Wie lange wissen Sie es schon?«

»Wie lange weiß ich was, Chef?«, fragte Vivvo aufrichtig.

»Das über mich. Das von den Nachrichten, die ich bekomme.«

Vivvo runzelte die Stirn. »Gedacht habe ich es mir schon auf Aexe, um ehrlich zu sein. Aber ich weiß es, seit wir hier sind.«

»Was wissen Sie?«

»Dass der Nachrichtenzylinder zu Ihnen zurückkommt. Mit Sachen darin.«

»Sachen?«

»Daten. Info. Der verdammten Wahrheit, Chef.«

Soric nickte. »Haben Sie es jemandem erzählt?«

»Nein! Äh, ja. Kazel. Venar. Vielleicht auch Hefron.«

»Sind die in Ordnung?«

»Ich glaube schon. Sie würden sich nicht das Maul zerreißen über …«

»Worüber, Junge?«

»Über Sie, Sergeant. Über Sie und was Sie haben.«

Männer von Meryns Trupp rannten an ihrem Versteck vorbei. Hinter ihnen, hundert Meter weiter die Straße entlang, zischte ein schwerer Flammenwerfer.

»Und was habe ich, Junge?«, fragte Soric.

Er rechnete mit allen möglichen Antworten. Das dritte Auge. Das Orakel. Das Mal des Warps. Den sechsten Sinn. Psionische Fähigkeiten.

»Einen Glücksbringer«, sagte Vivvo.

Die ehrliche Einfalt seiner Antwort trieb Soric fast die Tränen in die Augen. Milo hatte ihm erzählt, er sei auch so genannt worden. Das war der wahre Lauf der Dinge. In dieser finsteren Galaxis veranstalteten die abergläubischen Soldaten kein Geschrei und forderten die Hinrichtung ihrer Berührten. Sie betrachteten sie als Glücksbringer und Schutz vor dem glückfreien Verhängnis, das die gesamte Imperiumskultur erwartete.

»Dann haben Sie keine Angst vor mir?«, fragte Soric.

»Angst vor Ihnen? Warum zum Gak sollte ich Angst vor Ihnen haben?«

»Wegen dem, was in mir steckt. Wegen … wegen dem Warp. Ein Kommissar, ein Inquisitor … die würden mir an den Kragen gehen für das, was ich kann.«

Vivvo blinzelte Staub weg und starrte in Sorics faltiges Gesicht. »Alles, was Sie tun, alles, was Ihnen der Zylinder sagt … das ist das Glück, das zu uns spricht und uns einen Vorteil verschafft. Wie mit Kazel vorhin. Ich glaube … wirklich, Sergeant … dass es der Imperator persönlich ist, der durch Sie spricht und auf uns alle aufpasst. Solange es uns Glück bringt, Chef, würde ich nie fragen, woher es kommt.«

»Sie werden früher oder später dahinterkommen, Sohn. Bestenfalls die schwarzen Schiffe, schlimmstenfalls eine Boltpatrone in den Kopf. Leute wie ich, Glücksbringer oder nicht … wir sind Risikofaktoren.«

»Wenn jemand Sie holen will, muss er erst an mir vorbei.«

Soric streckte die Hand aus und nahm Vivvos fest in seine. »Nein. Versprechen Sie mir, sich nicht in den Weg zu stellen, wenn es dazu kommt. Versprechen Sie mir das.«

»Ich schwöre.«

»Diese Art von Ärger wollen Sie ganz sicher nicht«, versicherte ihm Soric. Er ließ Vivvos Hand los. Beinahe sofort griff Vivvo nach Sorics staubiger Faust.

»Dann versprechen Sie mir auch etwas, Chef«, sagte er. »Alles, was Ihnen der Zylinder sagt … Handeln Sie danach. Sollte ich jemals herausfinden, dass Sie Sachen zurückgehalten haben … keine Ahnung. Ich kann Ihnen nicht drohen, aber Sie müssen wissen, was ich meine. Solange er Ihnen Sachen erzählt, die für die Allgemeinheit bestimmt sind, seien Sie unser Glücksbringer. Wenn er Ihnen irgendeinen Scheiß erzählt, den Sie niemandem erzählen … tja, da rennen wir dann zum Kommissar.«

Soric schluckte. Er nickte. »Anständige Bedingung. Mehr als anständig, Junge.«

»Wir sollten uns besser beeilen, Chef.« Der saugende, rauschende Atem der Flammenwerfer war näher gekommen. Sie konnten beide das Scheppern der N20-Ketten hören.

»Los!«, sagte Soric, und Vivvo rannte los.

Soric holte den Nachrichtenzylinder aus seiner Tasche und las dessen Inhalt.

Was denn nun, Agun? Vivvo hat recht … und ist sehr nachsichtig. Willst du, dass er an die Wand gestellt wird? Er und Kazel und Hefron und alle anderen, die Bescheid wissen? Dass sie erschossen werden, weil sie ein Stück Warp-Abschaum geschützt haben? Du erzählst nicht alles. Du belügst sie. Sei ein Mann. Erzähl es Gaunt. Erzähl Gaunt von den neun.

»Neun? Von was für Neun redest du?« Soric hob den leeren Nachrichtenzylinder und brüllte die Worte in die leere Höhlung.

»Neun was?«

Aber der N20 war schon zu nah. Soric floh.

 

»Mehr Panzer! Ich sagte, wir brauchen mehr Panzer!«, brüllte Gaunt in das Sprechgerät, aber die Antwort bestand nur aus einem knisternden, auf- und abschwellenden Jaulen.

»Was ist mit dem Ding los?«, blaffte er Beltayn an. Der Kom-Offizier versuchte, die Frequenz neu einzustellen.

»Da ist irgendwas faul«, sagte er, zu sehr auf seine Arbeit konzentriert, um eine anständige Antwort zu formulieren.

»Was denn?«

»Höchstwahrscheinlich werden wir gestört. Durch starke elektromagnetische Wellen.«

Das hatte Gaunt befürchtet. Die Angreifer vergrößerten ihren Vorteil, indem sie den imperialen Kom-Verkehr störten und damit die Befehlskette unterbrachen. Wahrscheinlich machten sie damit auch ihre eigenen Frequenzen unbrauchbar, aber der Blutpakt griff zweifellos auf Psioniker zurück, um seine Truppen zu koordinieren.

»Packen Sie das ein und bringen Sie den Trupp hierher«, befahl Gaunt Beltayn und lief dann weiter die staubige Straße entlang. Von überall her war Kampflärm zu hören. »Rawne!«, brüllte er. »Rawne!«

Rawnes Trupp hielt das Ende einer schmalen Straße, wo sie auf den Teskbergplatz mündete. Der Schusswechsel war heftig. Gaunt sah Feygor in Deckung hinter einer Mülltonne und von dort aus schießen. Er eilte geduckt zu ihm.

»Feygor!«

Feygor sah sich um. »Wir sind hier ein wenig beschäftigt, Herr Kommissar.«

»Wo ist Rawne?«

Feygor zuckte die Achseln. »Das Helmkom funktioniert nicht.«

»Der gesamte Kom-Verkehr ist lahmgelegt. Wo könnte Rawne sein?«

»Zuletzt gesehen habe ich ihn in dem Hab da. Im dritten Stock.«

Gaunt nickte und spurtete über die mit Trümmern übersäte Straße zum Seiteneingang des Habs. Ein anständiger Tritt hatte die Tür aus den Angeln gerissen. Er ging hinein.

Das unbeleuchtete Treppenhaus führte zu allen neun Etagen des Habs empor. An die Wand gegenüber der Tür war ein ramponiertes schwarzes Brett geschraubt, auf dem die Namen der hier wohnenden Familien mit ihren Wohnraumnummern aufgelistet waren.

Gaunt hastete die Treppe empor und zog dabei seine Laserpistole. Das verdammte Ding kam ihm leichtgewichtig und wirkungslos neben der sehr lebendigen Erinnerung an seine verlorene Boltpistole vor.

Er kümmerte sich nicht um die ersten beiden Etagen, sondern stürmte durch die Verbindungstür zur dritten.

»Rawne?«

Ein langer Flur erstreckte sich vor ihm, der mit Papierfetzen und alten Kleidungsstücken übersät war. Auf beiden Seiten identifizierten nummerierte Türen die einzelnen Wohneinheiten. Einige standen offen, und trotz der Tatsache, dass die Phosphalampen in ihren Fassungen nicht brannten, war es nicht dunkel in dem Flur, weil mattes Tageslicht aus diesen geöffneten Türen hereinfiel.

»Rawne?«

Nichts, nur der Lärm der Kämpfe unten.

Er trat in eine der geöffneten Türen. Die Wohneinheit war ein einziges Chaos. Möbel waren umgeworfen, Regale leer gefegt. Klebeband war x-förmig über das Hauptfenster geklebt worden, in der vergeblichen Hoffnung, es könne das Glas vor Schäden bewahren. Wer immer hier wohnte, war in aller Eile verschwunden. Gaunt hoffte, sie saßen jetzt irgendwo sicher in einem Bunker.

Er ging an der Wand entlang zum Fenster und lugte vorsichtig hinaus. Schüsse flogen über den Teskbergplatz unter ihm hin und her. Der Straßenbelag wies Granatlöcher auf, und auf der anderen Seite des Platzes stand ein fünfstöckiges Haus in Flammen. Der massive Atmosphärenerzeuger in der Mitte des Platzes war von unzähligen Streifschüssen verbeult. Mehrere Leichen lagen draußen im Freien. Die meisten, stellte Gaunt mit Befriedigung fest, waren schmutzigrot gekleidet.

Durch das Fenster konnte Gaunt ein gutes Stück nach Westen durch die nördlichen Bezirke der Civitas schauen. Über Eisenhalle wallte der Rauch zahlreicher Brandherde. Vor dem Ausfall der Kom-Geräte hatte er gehört, dass es Kaldenbachs Verteidigungslinie am schlimmsten getroffen hatte. Er hoffte bei Terra, dass Kaldenbach sich auch an BAE 3 hielt. Kaldenbach war selbstsicher und von seinen Fähigkeiten überzeugt, und er hatte eigene strategische Ideen. Es würde ihm ähnlich sehen, Biagis hervorragende Grundlagenarbeit zu ignorieren und sich eine eigene Taktik zurechtzulegen.

Wenn er das tat, würden sie alle dafür büßen.

Weiter weg, in der rauchverhangenen Ferne, sah er, dass über der Obsidae immer noch feindliche Landungsboote heruntergingen. Der Regen der Landekapseln hatte aufgehört, aber die Landungsboote brachten immer noch Männer und Munition nach unten, hoben leer wieder ab, ließen sich neu beladen, tankten auf und wiederholten den Vorgang.

Aus offensichtlichen Gründen war Gaunt prinzipiell davon überzeugt, dass die Garde das Rückgrat der imperialen Kampfkraft war. Er hatte einen gesunden Respekt vor den Astartes, den Titanen-Legionen, den Panzerregimentern und der Flotte, aber für ihn war die einfache Infanterie die Grundlage des Sieges. Schließlich hatte man es ihm so beigebracht, zuerst sein Vater, dann Oktar, Slaydo … sogar Dercius. Aber in diesem Augenblick sehnte er sich wie noch nie zuvor nach einem Geschwader von Kampfflugzeugen mit panzerbrechender Munition. Diese Landungsboote waren so verwundbar. Ein gut geführtes Geschwader konnte eine Menge feindliche Landungsboote noch in der Luft abschießen, bevor sie ihre Fracht überhaupt absetzen konnten. Es wäre wie Tontaubenschießen.

Er verließ die Wohneinheit und versuchte es in den Nächsten. »Rawne?«, rief er noch einmal.

Die meisten Wohnungen waren wie die erste – verlassen und unordentlich. Er versuchte es mit einer verschlossenen Tür und landete in einer Wohnung, die bis auf einen seltsamerweise mitten im Raum stehenden Konsolentisch völlig leer war. Auf dem Tisch lag ein Buch. Die Wände des Raums waren kahl, und es gab weder Teppiche nach Matten, nur nackte Bodendielen. Sogar der einzelnen Phosphalampe an der Decke fehlte der Schirm.

Er stutzte. Das war sehr merkwürdig. Links war noch eine geschlossene Tür. Warum war dieser Raum so leer?

Er trat einen Schritt vor und hörte dann das charakteristische Knistern eines Hochenergie-Laserstrahls nicht weit entfernt.

Er lief wieder in den Flur und ging fünf Türen weiter in die nächste unordentliche Wohneinheit.

Bei seinem Eintreten fuhr Banda am Fenster herum und richtete ihr Präzisionsgewehr auf ihn. Der Ziellaser zeichnete einen Punkt auf seinen Solarplexus.

»Herr Kommissar!«, sagte sie und nahm die Waffe hoch.

»Tut mir Leid, dass ich Sie erschreckt habe, Banda. Wo ist Rawne?«

»Gleich hier«, sagte Rawne hinter ihm.

Gaunt drehte sich um.

»Suchen Sie mich?«

»Was machen Sie hier oben?«

»Das Kom ist ausgefallen, also habe ich versucht, mir mit meinen zwei Augen einen besseren Überblick über das Geschehen zu verschaffen. Die Schweine haben uns festgenagelt. Ich habe eine Blöße gesucht.«

Gaunt nickte. »Bei Prinzipal III ist die Hölle los.«

»Corbec?«

»Irgendwas mit einem Superschweren Panzer. Ich glaube, das Kampfgeschehen verlagert sich jetzt dahin. Das hier …« Gaunt zeigte auf das Fenster und die Kämpfe auf dem Platz. »Das hier ist nur Hinhaltetaktik.«

Rawne zuckte die Achseln. »Sagen Sie das meinen Geistern.«

»Hören Sie, ich nehme meinen Trupp und Hallers und Raglons und gehe mit ihnen nach Osten. Mal sehen, ob wir Corbec helfen können. Das bedeutet, dass Sie in diesem Gebiet das Kommando haben. In Ordnung?«

»Natürlich.«

»Sie haben BAE 3?«

Rawne schlug leicht auf die Datentafel in seiner Jackentasche.

»Machen Sie Gebrauch davon, Elim. Wir können uns nicht mehr über Kom kurzschließen, aber wir können den Laden hier zusammenhalten, wenn wir alle vom selben Blatt singen. Der Platz und die Latinatestraße sind die Haltepunkte. Im Falle eines Rückzugs ist der nächste Haltepunkt die Armonsfahl-Allee.«

»Die Latinatestraße ist vielleicht schon Geschichte. Soric hat einen Meldegänger geschickt. Massiver Angriff mit Flammenwerfern auf Halbkettenfahrzeugen.«

»Dann also die Armonsfahl-Allee. Schicken Sie selbst einen Meldegänger, und holen Sie Soric wieder zurück ins Spiel. Dann können Sie die Trupps mit ihm neu ordnen und …«

Gaunt hielt inne. »Sie wissen, wie man eine Verteidigung organisiert, nicht wahr?«

Rawne zuckte leichthin die Achseln.

»Ich vergeude meine Zeit, ja?«

Rawne nickte.

»Der Imperator beschützt«, sagte Gaunt mit einem kurzen Salut und eilte nach draußen auf den Flur.

»Gaunt?«

Beim Klang von Rawnes Stimme blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. Rawne stand in der Tür der Wohnung und sah ihn an.

»Ja?«

»Viel Glück bei der Jagd auf diesen Superschweren. Geben Sie ihm Feth. Geben Sie ihnen allen Feth.«

Gaunt nickte und eilte die Treppe hinunter.

 

Die Tür schlug hinter ihm zu. Rawne ging wieder zurück in die Wohnung. Am Fenster richtete Banda ihr Präzisionsgewehr aus.

»Was ist …«

»Psst«, sagte sie. »Ich arbeite. Fenster im zweiten Stock. Ein Blutpakt-Offizier mit einem Raketenwerfer. Er glaubt, niieeeemand kann ihn sehen …«

Ihre Stimme war nur ein leises Zischen. Sie hielt den Atem an. Das Präzisionsgewehr bockte in ihrer Hand.

»Hast du ihn erwischt?«, fragte Rawne.

Sie drehte sich um und grinste sarkastisch. »Was denkst du denn?«

Er beugte sich vor und küsste sie auf den Mund. Es war ein kurzer, aber hungriger Kuss.

»Du weißt, was ich denke«, sagte er, als er sich wieder entfernte. »Töte etwas anderes für mich.«

»Wie zum Beispiel? Ich könnte zu einem Seitenfenster laufen und Gaunt aufs Korn nehmen, wenn er abrückt.«

Rawne lächelte und schüttelte den Kopf. »Danke, nein.

Entweder der Erzfeind erwischt ihn oder ich. Keine Gefälligkeiten.«

Sie zuckte die Achseln und legte ein neues Magazin ein.

»Aber der Gedanke hat etwas für sich«, fügte Rawne hinzu.

»Ach, ich könnte es ohnehin nicht. Gaunt ist in Ordnung. Ich mag ihn.«

Sie sah den Ausdruck in seinen Augen und fügte honigsüß hinzu: »Natürlich nicht so, wie ich dich mag.«

»Natürlich nicht.«

»Also«, sagte Banda, während sie sich ein neues Ziel suchte. »Du hast jetzt das Kommando. Wie lautet der Plan?«

»Wir bringen sie weiterhin um, bis sie alle tot sind … oder wir. Oder war das eine Fangfrage?«

 

»Sind alle so weit?«, fragte Gaunt. Er hörte allgemeine Zustimmung. »Dann los«, sagte er zu ihnen.

Mit seinem eigenen Trupp sowie Hallers und Raglons machte Gaunt sich vom Teskbergplatz in die mittleren Straßen Masonaes auf. Die Späher bildeten die Spitze – Caober, Mkeller und Preed. Preed war der Ersatz für Suth in Siebzehn. Er war ein älterer Tanither und standhaft ein regulärer Soldat geblieben, bis Mkoll ihn dazu gedrängt hatte, sich zu spezialisieren. In seinem ehemaligen Leben als Wildhüter hatte er sich viele Waldläufer-Qualitäten angeeignet, aber aus einem Mangel an Selbstwertgefühl hatte er sich nie der Bruderschaft der Späher angeschlossen. Er hatte sich für zu alt gehalten. Gaunt hoffte nur, dass Preed seine wahre Bestimmung nicht zu spät entdeckt hatte.

Einen halben Kilometer östlich vom Teskbergplatz stießen sie auf Probleme. Ein massiver Keil Blutpakt-Infanterie drängte in die Gegend um die Hissonstraße in dem Versuch, zum Prinzipal III durchzubrechen. Die Trupps unter dem Befehl von Skerral, Folore, Mkendrick und Burone – also Neunzehn, Sechsundzwanzig, Achtzehn und Sieben – leisteten erbitterten Widerstand gegen diesen Angriff. Aber die Straßen in dieser Gegend waren nicht begehbar.

»Vorschläge?«, fragte Gaunt.

»Wir gehen durch diese Gebäude da«, sagte Caober entschlossen. Haller nickte. Caober zog die Karte auf seiner Datentafel zurate. »Mitten durch, dann müssten wir auf der Fancibelstraße herauskommen und an dieser Schweinerei hier vorbei sein.«

Die Gebäude waren eine Manufaktur und ein Habitatsblock. Sie waren von ihren Besitzern noch verschlossen und verriegelt worden, bevor diese sie verlassen hatten. Mkeller zerschoss das Vorhängeschloss an der Außentür der Manufaktur mit dem Lasergewehr.

»Was ist?«, fragte Haller Gaunt.

»Wir sollten vorsichtig sein. Wenn das ein Weg durch das Gebiet ist, können Sie darauf wetten, dass der Feind auch daran gedacht hat.«

»Und uns entgegenkommt, meinen Sie?«, fragte der hochgewachsene Verghastit.

»Ich glaube schon«, sagte Gaunt.

In der Manufaktur war es kalt und dunkel. Die Luft in Masonae war allgemein schlechter geworden, und zwar in so einem Maß, dass viele Geister ihre Atemmasken trugen. Zu viele Atmosphärenerzeuger funktionieren nicht mehr, dachte Gaunt.

In den Werkstätten und Montagehallen war alles still. Unterwegs prüften sie jede Seitentür und jeden Lagerraum, nur für alle Fälle.

Sie verließen die Manufaktur und folgten einem überdachten Fußweg in das Arbeiter-Habitat. Die Prozedur wurde fortgesetzt. Eine sorgfältige Untersuchung der Räume, um sich abzusichern, während sie durch die Flure des Habitats streiften.

»Die hier ist verschlossen«, sagte Caober.

Gaunt näherte sich. Die Geister hinter ihm suchten Deckung und hielten die Waffen bereit. Er drehte den Türknauf.

»Nein, ist sie nicht.«

Caober runzelte überrascht die Stirn.

Gaunt stieß die Tür auf, und sie schauten mit der Waffe im Anschlag hinein. Noch eine Hab-Wohneinheit, alles ganz normal außer …

… dass diese völlig leer war. Kein Teppich, keine Läufer oder Matten, kein Schirm an der Deckenlampe, nackte Wände. Eine Tür an einer Seite, verschlossen. Ein Konsolentisch in der Mitte des Raums mit einem Buch darauf.

»Klar!«, sagte Caober. »Weitergehen …«

»Warten Sie!«, zischte Gaunt. Er hatte ein furchtbar unbehagliches Gefühl. Er ging in den nackten Raum und roch dessen muffige Kühle. Was ging da vor? Konnte das ein Zufall sein?

Er ging zu dem kleinen Tisch, der so merkwürdig mitten im Raum stand, und griff nach dem Buch, das dort lag. Es war alt. So alt, dass es auseinander fiel und sich in Staub auflöste.

Er öffnete den Deckel und las die Titelseite.

Es war eine Erstausgabe von Über den Einsatz von Armeen von DeMarchese.

Gaunt hatte selbst eine Ausgabe dieses obskuren Werks. Taktiker Biota hatte es ihm gegeben, kurz bevor er Aexe Cardinal verlassen hatte.

Wie war das möglich? Was für ein extremer Zufall sollte das sein? Gaunt verspürte ein wachsendes Gefühl der Panik und Furcht. Er war von Warpmagie umgeben. Er starrte auf die geschlossene Seitentür. Was lag dahinter? Was?

Er ging darauf zu und drehte den Knauf. Die Tür öffnete sich leicht. Gaunt roch frische, saubere Luft. Im Eingang waren Pflanzen. Ranken und Sträucher. Dieser Seitenraum war offenbar eine Art Herbarium, ein Gewächshaus für …

»Feinde!«, rief Caober aus der Tür und fing an zu schießen.

Gaunt schlug die Tür zu und lief zu ihm.

Ein Trupp Blutpakt-Soldaten kam ihnen im Flur des Habitats entgegen. Sie benutzten die Türbuchten als Deckung und schossen mit Lasergewehren und Waffen mit fester Munition.

Nach zehnminütigem brutalen Kampf waren sie alle tot.

Am Ende des Kampfes befand Gaunt sich am Ost-Ausgang des Habitats. Er erwog einen Moment, zu diesem seltsamen kahlen Raum zurückzukehren, aber jetzt schien es keine so große Rolle mehr zu spielen. Sein Blut war in Wallung. Er hatte soeben einen Blutpakt-Offizier mit seinem Energieschwert aufgespießt, und als die drei Trupps schließlich die Fancibelstraße betraten, hatte er das alte Buch und den kahlen Raum bereits vollkommen vergessen.

 

Gol Kolea sprang aus dem Hab-Fenster in die Gasse darunter und spurtete vierzig Meter weit zum hinteren Ende des schmutzigen Lagerschuppens, der er vor sich sah. Jedes schwarze, glaslose Fenster entlang der Gasse, das auf ihn niederstarrte, schien die Drohung verborgener Schützen zu bergen, aber niemand schoss auf ihn. Als er schließlich die schmierige Wand erreichte und dort niederkauerte, atmete er schwer, aber er konnte immer noch das Knattern einer Autokanone in der Nähe hören.

DaFelbe versuchte ihn über Kom zu erreichen und wollte seine Position wissen. Die Verbindung war sehr schlecht, die Nachricht war völlig verstümmelt. Kolea konnte DaFelbe kaum verstehen. Kolea schnippte zweimal rasch gegen das Mikrofon, das nonverbale Signal für Ich kann jetzt nicht reden.

Er kroch bis zum Ende der Rückwand des Lagerschuppens, kam dann rasch hoch, sodass er über die niedrige Barriere schauen konnte, und schoss darüber hinweg. Zwei Blutpakt-Soldaten, die mit dem Rücken zu ihm an der nächsten Mauer standen, fielen tot zu Boden, vollkommen überrumpelt.

Er duckte sich wieder. Noch mehr Geknatter. Jetzt auch Geschrei. Ein paar Schüsse jaulten über ihn weg.

Er biss die Zähne zusammen, spurtete zur offenen Tür des Schuppens und hechtete in Deckung. Neuerliche Schreie in einer rauen Sprache, bei der er sich innerlich krümmte.

In der Düsternis arbeitete er sich die Innenwand entlang, eine Verladebucht empor und weiter zu einem Granatloch in der Wand. Durch die gezackte Öffnung konnte er auf den Verladehof hinter dem Schuppen schauen. Dort sah er die zwei Männer mit der Autokanone hinter einem Stapel Fertigbauteile. Er sah sie, aber der Schusswinkel war lausig.

Er musste weiter nach oben …

Eine mit Klammern an der Wand befestigte Leiter führte von der Verladebucht zu einer Stauplattform im ersten Stock. Er warf sich das Lasergewehr über die Schulter und kletterte die Leiter empor.

Er stieg gerade auf die Plattform, als ihm aufging, dass er nicht allein war. Er warf sich vorwärts, als die Gestalt aus der Dunkelheit auf ihn losging, und sie fielen grunzend und um sich schlagend übereinander. Sein Gegner war behände, und Kolea erhaschte einen flüchtigen Blick auf eine gezückte Klinge. Ein Aufblitzen von Stahl in der Dunkelheit. Gak drauf. Kolea legte alle Kraft seines Oberkörpers in einen Kinnhaken, der die Gestalt auf den Rücken schleuderte.

Er sprang vor, um die Sache nach Art der Irregulären zu Ende zu bringen, nämlich mit den bloßen Händen, und hielt dann inne.

Es war Cuu.

Cuu krümmte sich fluchend auf der Plattform und hielt sich den blutigen Mund.

»Sie!«, zischte Cuu.

Kolea zuckte die Achseln. »Haben Sie mich nicht erkannt?«

Cuu schüttelte den Kopf. »Ich dachte, Sie wären einer von denen …«

Bestürzenderweise hörte sich das für Kolea irgendwie unwahr an. Cuu war vor Kolea auf der Plattform gewesen, also hatten seine Augen länger Zeit gehabt, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Er musste doch in der Lage gewesen sein, den Unterschied zu erkennen …

Es sei denn, es war Absicht gewesen. Ein rascher Stich mit dem Kampfmesser, und hinterher war man immer schlauer.

Kolea schüttelte sich. Lijah Cuu war ein Drecksack, aber doch nicht ein solcher Drecksack …

»Stehen Sie auf«, sagte Kolea. Während Cuu sich erhob, fluchend und blutigen Schleim ausspeiend, ging Kolea zur Belüftungsöffnung in der Wand, hebelte die Metallklappen hoch und schaute nach draußen. Tief unter sich, in einem steilen, aber besseren Winkel, sah er das Geschütznest. Er schob den Lauf seines Lasergewehrs durch einen der Schlitze und zielte, obwohl er auf Dauerfeuer geschaltet hatte.

Seine Schüsse deckten die Geschützstellung ein. Der Schütze selbst war sofort tot und kippte nach hinten. Sein Lader fuhr herum, zuckte zusammen, als er gestreift wurde, und fiel dann auf den Rücken.

»Die Kanone ist erledigt. Der Weg ist frei«, sendete Kolea DaFelbe in der Hoffnung, der Inhalt seiner Nachricht würde trotz der heftigen Störungen durchkommen.

Er wandte sich an Cuu. »Kommen Sie«, sagte er.

Der Trupp erreichte gerade den Verladehof, als sie unten ankamen.

»War ich das?«, fragte Criid Cuu im Vorbeigehen mit einem Blick auf sein blutverschmiertes Gesicht.

»Nein, Sergeant.«

Sie zuckte die Achseln. »Ich bin wohl nicht mehr auf der Höhe.« Criid schnippte mit den Fingern und zeigte, und Hwlan rückte mit den Männern an der Spitze vor.

»Saubere Arbeit«, sagte Criid lächelnd zu Kolea. Er nickte. Er musste sich immer noch an die komischen Blicke gewöhnen, die ihm seine alten Freunde und Kameraden zuwarfen, aber an Criids Art war noch etwas Besonderes. Zuerst war alles vollkommen in Ordnung gewesen, aber jetzt registrierte er eine wachsame Zurückhaltung. Was war der Anlass?

»Ist mit Criid alles in Ordnung?«, fragte er Lubba.

Lubba machte sich gerade am Zuführungsrohr der Prometheumtanks seines Flammenwerfers zu schaffen. »Sicher. Warum?«

»Sie sieht mich dauernd so komisch an.«

»Wahrscheinlich glaubt sie, Sie wollen ihr das Kommando wieder abnehmen.«

Kolea schüttelte den Kopf. »Ich habe ihr gesagt …«

»Sie wird sich Sorgen machen. Mehr nicht.«

»Flammer hierher!« Criids Befehl hallte über den Platz. Sie eilten zu ihr.

Es war falscher Alarm. Varls Trupp kam gerade aus der nächsten Straßeneinmündung. Varls Späher hatte an einer Kreuzung in der Nähe eine Feindeinheit ausgemacht.

»Es sind ungefähr dreißig«, meldete Baen. »Und sie scheinen einen Schleichpanzer zu haben … aber er ist nicht aktiv.«

»Nicht aktiv?«, fragte Criid.

Baen krümmte die Schultern in einer Geste, die besagte, »Was soll ich sagen?«

»Sieht so aus, als würden sie ihn bewachen.«

»Wir beziehen hier Stellung, um sie ein wenig zu beschäftigen«, schlug Varl vor, »und dann könnten wir einen kleinen Angriffstrupp von der Seite schicken. Daher …« Er zeigte in eine Richtung.

»Das übernehme ich«, sagte Kolea. Criid sah ihn an. Wieder diese eigenartige Anspannung.

»Von mir aus«, grinste Varl. Er hatte seinen alten Sparringspartner Kolea wirklich vermisst. »Solange du es nicht vermasselst.«

»Also gut«, sagte Criid widerstrebend. »Nessa, Hwlan, Baen … ihr geht mit Kolea.«

Die vier rannten nach links in das Dämmerlicht einer schmalen, langen Seitenstraße, während die vereinigten Trupps in Stellung gingen. Nach kürzester Zeit hörte Kolea bereits das Knistern der Laserwaffen und das Zischen der Flammenwerfer.

Die Späher bildeten die Spitze, dann kam Nessa mit ihrem Präzisionsgewehr, und Kolea bildete den Abschluss. Es gab schlimmere Orte in der Galaxis als den direkt hinter Nessa Bourah, wenn sie lief, dachte er.

Ihn überkam so etwas wie eine Erkenntnis. Er verspürte – auf einer sanften, normalen, menschlichen Ebene – Verlangen. Anerkennung für die wohlgeformte Kehrseite einer attraktiven Frau. Gak, aber es war laaaange her, seit er so etwas zuletzt bei sich registriert hatte.

Seit er überhaupt etwas registriert hatte.

Es war wirklich ein Gefühl, als sei dies der erste Tag in seinem Leben und er sehe alles ganz neu. Als sei er aus einem tiefen Betäubungsschlaf erwacht. Wie hatte er es Curth beschrieben? Als tauche er aus tiefem Wasser auf.

Ich lebe wieder, dachte er. Der Beati sei Dank.

Baen und Hwlan führten sie weg von der Straße, durch die verwüsteten, geplünderten Klassenräume im Erdgeschoss der Schola eines Hab-Bezirks und weiter in eine Munitorium-Wäscherei. Die Luft war abgestanden und klamm von dem Wasser, das in den großen stählernen Waschpressen stand. Ungeziefer huschte in den Stapeln nasser Overalls herum und nagte daran. Auf dem Boden lag verstreutes Waschpulver, und die Gitter der Abzugsschächte in der Decke waren mit Fusseln verklebt.

Sie erreichten eine Reihe von Fenstern, deren Scheiben durch einen Granateinschlag zersplittert waren. Der Schleichpanzer kauerte mehr oder weniger direkt unter ihnen an der Seitenwand einer Vorstadtkapelle. Baen hatte recht – die feindlichen Soldaten hielten die Straße so, als verteidigten sie den Panzer.

Nessa warf einen langen Blick durch das Zielfernrohr ihrer Waffe.

Da stimmt etwas nicht, signalisierte sie.

»Darf ich?«, fragte Kolea. Nessa reichte ihm ihr Gewehr.

Er schaute nach unten und wartete, bis die Automatik die Optik an seinen Augapfel angepasst hatte.

Der Schleichpanzer war kein normales Modell. Ihm fehlten die Waffenaufbauten und die vorderen Geschütztürme. Stattdessen waren die unteren Rumpfsektionen fett und aufgebläht wie ein geschwollener Bauch. In der Panzerglasblase konnte Kolea eine menschliche Gestalt vor dem Fahrer ausmachen. Die Gestalt lehnte sich wild zuckend zurück. Hunderte von Kabeln führten von ihrem Leib in die Innereien des Panzers.

»Psioniker«, sagte er, während er Nessa die Waffe zurückgab.

»Eine psionische Waffe?«, fragte Hwlan nach.

»Nein«, sagte Kolea. »Ich glaube, das da … und ähnliches Zeug … stört unsere Kom-Verbindungen.«

Du hast die Ehre, signalisierte Baen Nessa.

Sie zielte, und ihr Atem verlangsamte sich. Sie schoss.

Der Hochenergiestrahl durchbohrte die Panzerglasblase und sprengte Kopf und Schultern des Psionikers in Fleischfetzen. Der Schleichpanzer selbst schauderte und bebte und fing dann an zu brennen. Ein nonverbaler Schrei hallte gellend durch die Luft und ließ sie alle schaudern und ächzen.

Kolea, Baen und Hwlan bezogen Stellung an den Fenstern und schossen auf die überrumpelten Blutpakt-Einheiten. Criid und Varl nutzten die Verwirrung und rückten vor.

Kaum fünf Minuten später hatten sie die Straße gesäubert.

 

Die rote Todesklinge war ein entsetzliches Ding, Grauen in einer festen Gestalt. Corbec bezweifelte, dass der verdammte Archon persönlich, Urlock Soundso, mehr Ausstrahlung gehabt hätte.

Der Lärm, den er verursachte, reichte schon aus. Kein Grollen, kein Bullern, kein Tosen. Ein extrem tiefes, beinahe unter der Hörgrenze liegendes Heulen, das das Trommelfell vibrieren ließ und die Seele peinigte. Jemand – Daur vielleicht oder Ana Curth – hatte Corbec einmal erzählt, dass die ganz tiefen Schwingungen im Bereich von 18 Hertz eine Urangst-Reaktion bei Menschen auslösten, so alt wie Höhlen, Finsternis und die ersten Feuer. Dieses unterschwellige Vibrieren im Knurren großer Raubkatzen auf dem alten Terra ließ Menschen vor Furcht erstarren. Es war eine genetisch von den Primaten ererbte Reaktion.

Wenn er mit seinem Hauptgeschütz oder der auf dem Rumpf montierten Demolierer-Kanone schoss, war es noch schlimmer. Der Boden erbebte. Granaten flogen in die Stadtmitte, und Feuerbälle erblühten über der Dachlinie. Dagegen konnte er nichts unternehmen. Kein einzelner Mann konnte etwas dagegen unternehmen.

»Los doch! Vorwärts!« Milo zerrte verzweifelt an seinem Arm. Sein Angriffstrupp war zur Flucht in die Straßen im Osten bereit. Der Todesklinge überrollte knirschend das Wrack von Fordern Durch Drohungen.

»Schon gut!«, schrak Corbec aus seiner Versunkenheit und rappelte sich auf.

»Was zum Gak ist das denn?«, fragte Chiria.

Corbec drehte sich um.

Eine Gestalt trat vor dem Superschweren Panzer auf die Straße. Sie trug eine goldene Rüstung, und in ihrer Hand funkelte ein Schwert.


NEUN